Rachewahn: Thriller
Er steckte die Hände in seine Hosentaschen und fragte seine Kollegin: „Was hältst du davon?“
„Ich bin mir nicht sicher. Auf jeden Fall steckt der Kerl tief im Mist. Und ich weiß nicht, wie er dort jemals wieder herauskommen will. Ganz egal, für welche Verbrechen er letztlich verantwortlich ist und für welche nicht.“
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Samstag, 8. Juni 2013
Frost stand gefesselt in der Gasse und schüttelte den Kopf.
„Was haben Sie? Wollen Sie uns etwas mitteilen?“, fauchte Tommy ihn an.
„Nein. Ich frage mich nur, wie ich in diesen ganzen Mist hineingeraten konnte. Ich habe Drogen verkauft. Okay. Dafür verdiene ich eine Strafe. Aber das ist alles.“ Er fixierte Tommy. „Erst bin ich ein vermeintlicher Doppelmörder, dann soll ich den Kopf für irgendwelche Menschen hinhalten, die ich nicht einmal kenne, und jetzt merke ich, dass Sie überhaupt keine Kontrolle über die gesamte Situation haben. Sie wissen anscheinend nicht einmal, womit Sie es hier zu tun haben. Wie können Sie also verlangen, dass ich für Sie in die Schusslinie gehe? Ich könnte fast den Eindruck gewinnen, dass Sie auch ein paar Drogen konsumiert haben.“ Er lachte verbittert auf. „Ich glaube, dass Sie mich gestern nur verhaftet haben, um jetzt einen Dummen vorweisen zu können, der Ihre Arbeit erledigt. Das haben Sie sich schön zurechtgelegt.“
Thomas ließ sich diese Sätze durch den Kopf gehen. Er warf einen Seitenblick auf Nora und grübelte verbissen. Dann äußerte er: „Im Grunde ist das gar nicht so …“
Urplötzlich schrie Frost auf und sackte in sich zusammen. Blut spritzte aus seinem rechten Oberschenkel hervor. Wie ein nasser Sack fiel er zu Boden und wandte sich vor Schmerz hin und her.
Nora und Tommy wussten nicht, was geschehen war. Dennoch reagierten sie sofort. Sie pressten sich an die Gebäudewand neben ihnen und kontrollierten die Umgebung mit schnellen Blicken.
„Was zur Hölle war das?! Was ist passiert?“, rief Tommy. Er sah auf Frosts Bein und erkannte, dass es von einer Kugel durchbohrt worden war. „Wie ist das möglich? Das kann doch gar nicht sein!“
„Helfen Sie mir! Machen Sie schon! Los!“, schrie Frost verzweifelt. Da er noch immer mit den Handschellen gefesselt war, konnte er die Wunde nicht abbinden. Hilflos sah er zu, wie immer mehr Blut aus seinem Oberschenkel floss.
Nora und Thomas hielten sich noch an der Wand. Solange sie nicht wussten, woher der Schuss gekommen war, konnten sie sich nicht unbedenklich vorwagen. Auch ihre Kollegen hielten sich zurück und blickten sich um. Allerdings schien niemand die gegenwärtige Gefahr sehen zu können.
Thomas blickte in Richtung Osten. Dort überflog er die Schaulustigen und überprüfte die einzelnen Gebäude. Er nahm jedes Fenster ins Visier. War eines davon geöffnet? Bewegte sich irgendwo eine Person? Wackelte ein Vorhang auf verräterische Weise?
Nora sah in die entgegengesetzte Richtung. Die Gasse zog sich zwanzig Meter in die Länge und kreuzte an die Weender-Straße . Einige Geschäfte und Wohnhäuser reihten sich dort aneinander.
„Da wir keinen Knall gehört haben, muss der Schuss aus größerer Entfernung gekommen sein“, stieß Tommy aus. „Die Umgebung ist nämlich vollkommen abgesperrt. Niemand hätte aus der Nähe mit einem Schalldämpfer schießen können. Aber auf meiner Seite gibt es auch keine Möglichkeit für einen Distanzschuss. Zudem sind die Fenster dort vorne alle sicher.“
„Aber ich sehe einen geeigneten Ort für den Schuss“, setzte Nora ihn in Kenntnis. Thomas drehte sich um und folgte dem Fingerzeig seiner Kollegin. Dabei sah er ein Hochhaus. Dieses stand fast zweihundert Meter von der Gasse entfernt und ragte vierzig Meter in den Himmel empor.
„So ein Mist! Vom Dach hat man einen perfekten Blick auf diese Gasse!“ Thomas rief Karl herbei. „Überprüfen Sie das Hochhaus! Vermutlich befindet sich der Schütze auf dem Dach! Los! Beeilen Sie sich!“
Nora schaute auf Frost. Das Blut lief unaufhaltsam aus seinem Bein heraus. „Machen Sie mich los! Ich muss die Wunde abbinden! Sonst krepiere ich gleich!“
„Ist der Notarzt mittlerweile hier?!“, brüllte die Kommissarin hinüber in Richtung Absperrung.
Vielbusch antwortete: „Ja, er steht auf der anderen Seite der Straße.“
„Dort nützt er uns nichts! Er soll herkommen. Sofort!“
„Ich gebe ihm Bescheid!“
„Das dauert zu lange!“, beschwerte Frost sich.
Noras Blick pendelte zwischen Frost, dem Hochhaus und Vielbusch hin und her.
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