Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt
Zucken seinen Körper, aber er kämpfte dagegen an und gewann die Kontrolle. Das machte ihn noch verbissener.
»Ich wusste die ganze Zeit, dass ich das eines Tages würde verwenden können. Mir ist die Sache, die ich an diesem Tag gesehen und gehört habe, egal, aber ich habe immer gewusst, dass ich es eines Tages verwenden kann.«
»Was ist mit dem Einbruch bei mir? Die Bombe in meinem Auto und im Solarium?«
Er zog einen Stuhl heran und setzte sich. Sie sah seine Hände zittern, als er die Camel-Packung herausholte und sich eine Zigarette zwischen die blutigen Lippen schob.
»Du bist die einzige Mutter, die ich je hatte. Wenn du wüsstest, wie sehr ich dich geliebt habe.«
Die Sanftheit, die dadurch in ihr geweckt wurde, kam so unerwartet, wie eine ferne Erinnerung an Liebe. Seine Stimme war voller Trauer. Trauer und Vorwurf. Er hatte jeden Grund, ihr Vorwürfe zu machen. Sie hatte ihn geliebt, und plötzlich hatte sie einfach damit aufgehört. Sie hatte ihm den Teppich unter den Füßen weggezogen; ihm den einzigen Halt genommen, den er je gehabt hatte.
»Es tut mir so furchtbar leid, Cato. Ich hatte einfach keine Kraft mehr. Wenn das in irgendeiner Weise ein Trost für dichist, kann ich dir sagen, dass ich danach aufgehört habe, mich selbst und andere zu lieben. Die Wahrheit ist vielleicht, dass ich nie in meinem Leben jemanden so sehr geliebt habe wie dich damals.«
Zum ersten Mal sah sie Anzeichen von Unsicherheit in seinem Gesicht.
»Ich habe dich verkauft. Für Reue ist es jetzt zu spät.«
»Mich verkauft?«
»Ich brauchte Geld. Diese ganzen Storys über dich in der Zeitung. Die habe ich denen verkauft, ich habe sie den Jungs von der Einwandererbande verkauft. Auch die letzte Geschichte, die dich fertigmachen wird.«
Seine Unsicherheit war jetzt wie weggeblasen.
»Mein ganzes Leben hat sich immer nur um eins gedreht: Rache. Ich will ihn finden und mich an ihm rächen, im Namen für alle, die er zugrundegerichtet hat. Und ich gehe auch über Leichen.«
»Adda Boel?«
Er schüttelte den Kopf.
»Die hat nichts damit zu tun. Nicht, wie du denkst. Also, los jetzt. Gib mir die Adresse. Einen Namen. Dann kannst du dich um die Überreste deines erbärmlichen Lebens kümmern.«
Ein Racheengel. Sie musste fast ein Lächeln unterdrücken. Wer hätte das gedacht, dass ihr kleines Äffchen sich eines Tages zu einem Desperado entwickeln würde? Von den vielen Kindern wäre er der Letzte gewesen, auf den sie gesetzt hätte.
Sie gab ihm die Informationen, die er haben wollte, ohne ein Zittern in der Stimme.
Er verließ das Haus durch die Garage ohne ein Wort des Dankes.
Sie benötigte eine halbe Stunde, um sich von den Fesseln zu befreien. Sie hatte sich auf die Seite fallenlassen und war mit dem Stuhl auf dem Rücken wie mit einem Schneckenhaus zum Küchenschrank gekrochen, wo es ihr schließlich gelang, das Tape mithilfe eines scharfkantigen Topfes aufzuschneiden.
Danach hatte sie sich mit einem Whiskey aufs Sofa gesetzt, den sie sich als Belohnung versprochen hatte. Sie wusste, dass es vorbei war. Der Teil ihres Lebens, den sie seit dem Ereignis so mühselig und unter großen Anstrengungen aufgebaut hatte, war definitiv vorbei. Ihr blieb nur noch eine Sache zu tun: Sie wollte diese Geschichte unter ihren Bedingungen erzählen dürfen, bevor es andere für sie taten.
Sie durchsuchte ihre innere Kartei nach Journalisten, aber keiner von ihnen hatte das richtige Format für diese Art von Story. Mut brauchte man dazu, aber auch Einfühlungsvermögen und die richtige Perspektive.
Am Ende blieb nur eine einzige Person übrig, die diese Geschichte für sie schreiben konnte. Sie hatte ihr nicht viel Bedeutung zugemessen, schließlich hatten sie sich auch gerade erst kennengelernt. Aber etwas an ihr flößte Vertrauen ein und nicht zuletzt Respekt. Außerdem war sie eine Kriminalreporterin, und darum ging es doch bei dieser Angelegenheit: Es ging um Verbrechen und Strafe.
KAPITEL 70
Was war das Leben eines Menschen wert? Und wer setzte dessen Wert fest?
Dicte schlug in den frühen Morgenstunden die Augen auf. An der Oberfläche herrschte Idylle. Bo lag eng an sie geschmiegt und schlief. Die Welt draußen war von Nebel verhüllt, aber die Herbstsonne hatte bereits den Kampf aufgenommen, um ihn zu vertreiben.
Es wurde langsam heller, dennoch lag eine Last auf ihr, als würde sie unendlich in die Tiefe stürzen. Bald würden sie vor ihrer Tür stehen: die Behörden – in Person von Wagner –, die mit dem
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