Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt
Durchsuchungsbeschluss herumwedelten. Auf der Jagd nach einem Menschen, dessen Wert proportional zu seiner Bedeutung für sie war: Wenn sie Peter B fanden, erleichterte dasihre Arbeit. Sie hätten einen Verdächtigen vorzuzeigen und könnten ihren Vorgesetzten und der Öffentlichkeit gegenüber beweisen, dass sie ihre Arbeit gut gemacht hatten. Alle Indizien führten zu ihm. Und Lena Lund führte die Truppe als Polizeihund an, die Schnauze tief in der Spur vergraben. Sie konzentrierten sich gerade auf ihre Beute und vergaßen in ihrem Blutrausch, nach links und nach rechts zu sehen.
Sie betrachtete Bo, der tief schlief, Haarsträhnen klebten auf seiner Stirn, und er sah selig und unbekümmert aus. Sie beneidete ihn darum. Denn eigentlich hätte auch er Grund, sich zu sorgen. Er hatte sich für eine Seite entschieden, hatte sich für sie entschieden und riskierte dadurch, einen hohen Preis zu zahlen, weil er einem Flüchtigen seine Wohnung zur Verfügung stellte. Das war strafbar, wie so vieles andere, was sie in den letzten Tagen unternommen hatte.
Alles hatte seinen Preis. Wie hoch war der Preis für einen Menschen, und wer setzte diesen Preis fest? Die Gesellschaft? Taten das die Sozialbehörden, die Verantwortung übernahmen, wenn die Familien nicht mehr funktionierten, aber am Ende gedemütigte Kinder und Jugendliche ausspuckten? Menschen wie My oder Cato oder Adda, denen nicht derselbe Wert zugesprochen wurde wie denen auf der anderen Seite des Bürotischs? Oder war es das Gesundheitssystem, das Diagnosen aussprach und auf diese Weise den Menschen Preisschilder auf den Rücken klebte, die Preise für Behandlungen und Medizin? Oder waren es am Ende wir selbst, die unseren Wert bestimmten? War es an uns, an jedem Einzelnen, zu sagen: Ich bin etwas wert? Es kann schon sein, dass ich krank bin oder am Rande der Gesellschaft lebe, aber ich kann etwas, und ich will etwas: Ihr werdet schon sehen!
Sie strich Bo eine Strähne aus der Stirn. Er schnaufte im Schlaf, und sie kuschelte sich eng an ihn und genoss die Wärme seines Körpers.
Sie hatte immer Stärke bewiesen und war ihrer Methode treu geblieben. Sie war davon überzeugt, dass sie selbst die Zügelin der Hand behalten musste. Wenn sie hart arbeitete und Resultate vorweisen konnte, dann war sie etwas wert, in erster Linie für sich selbst, aber auch für andere: für die Zeitung, für Bo, für das Finanzamt und für die Gesellschaft. Nur dann konnte sie sich in die Augen sehen und sich beglückwünschen: Gut gemacht, Dicte!
Aber in letzter Zeit schien dieses Weltbild auf den Kopf gestellt. Es gab Menschen, die sich von den vielen verschiedenen Preisschildern, die an ihnen befestigt worden waren, nicht freimachen konnten. Menschen, die ihr ganzes Leben mit Bewertungen leben mussten, die andere über sie ausgesprochen hatten und die deshalb niemals ganz werden konnten. Niemals. Menschen, die nur halb oder noch weniger waren, reduziert vom Leben, Erlebnissen und ihrer Herkunft – Koordinaten, die sie nicht ändern konnten. Ihr Sohn war einer von ihnen. Ihr gefiel das zwar nicht, aber sie musste sich eingestehen, dass sie ihn in diese Situation gebracht hatte. Und so ging es immer weiter. Wir platzieren einander auf der Preisskala des Lebens. Einige sind im Sonderangebot, andere nur für künstlich in die Höhe getriebene Preise zu erhalten. Es war eine Schande. Es war Sünde. Und es war ungerecht. Aber es war, wie es war, und selbst wenn sie es gewollt hätte, konnte sie es nicht mehr ändern.
Sie legte sich auf den Rücken, das Kissen unter den Kopf gestopft, und ließ ihren Gedanken freien Lauf. Tief hinein in philosophische Fragen hatte sie sich begeben, als Bo plötzlich neben ihr etwas Unverständliches murmelte, sich umdrehte und wie zufällig den Arm um sie legte. Sie wartete darauf, dass seine Atemzüge wieder gleichmäßiger wurden, aber stattdessen öffnete er ein Auge und sah sie prüfend an.
»Womit quälst du dich?«
»Gar nichts.«
»Dieses ›gar nichts‹ sieht ziemlich ernst aus.«
Er drehte den ganzen Kopf zu ihr, so dass ihre Nasen sich berührten. Sie tauchte in das Grau seiner Augen ein, suchte Halt in seinem Lächeln.
»Glaubst du, ich tue das Richtige?«
Sein Lächeln breitete sich über das ganze Gesicht aus.
»Du tust immer das Richtige. Nur manchmal auf die falsche Art und Weise.«
Sie war nicht in der Lage, sein Lächeln zu erwidern.
»Die kommen bald, das weißt du, oder?«
»Natürlich. Soll ich schon mal runtergehen und
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