Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt
übermächtigen Müdigkeit Platz machen und sich ergeben, aber ihr Körper wollte etwasanderes. Der wehrte sich gegen den Griff, sie trat mit den Beinen um sich, traf aber nur ins Leere. Der Mann lachte ihr ins Ohr, sie spürte seinen Bart gegen ihre Haut kratzen.
»Du kannst dich so viel wehren, wie du willst. Es wird dir nichts nützen.«
Aus dem Augenwinkel sah sie die Pistole in seiner Hand. Er führte sie ins Wohnzimmer, machte Licht an. Mit der einen Hand hielt er sie fest, mit der anderen streifte er den Rucksack ab und legte ihn auf den Küchentisch. Es gelang ihm, ihn mit einer Hand aufzumachen und eine Rolle Gaffer Tape und eine Schere herauszufischen, die Pistole blieb die ganze Zeit auf sie gerichtet.
Dann schob er die Waffe in seinen Hosenbund und band ihre Hände mit dem Tape auf dem Rücken zusammen. Er wählte einen soliden Stuhl und stieß sie darauf. Als er ihr rechtes Bein am Stuhl festbinden wollte, trat sie nach ihm, hörte seinen Kiefer knacken und sah Blut von seiner Lippe tropfen.
»Sitz still, du blöde Kuh.«
Der Faustschlag in den Magen nahm ihr die Luft. Aber er reichte nicht aus, um sie außer Gefecht zu setzen, und einen weiteren Tritt zu verhindern. Sie hörte, wie die Pistole über die Terracottafliesen schlitterte. Sie hob ihr Knie und stieß es ihm in den Schritt, um ihn gleich darauf mit ihren Beinen in den Schwitzkasten zu nehmen. Sie fielen hintenüber, und ein stechender Schmerz schoss durch ihren Hinterkopf, als sie hart auf dem Boden aufschlug. Es wurde dunkel um sie herum, obwohl sie versuchte, dagegen anzukämpfen. In den Sekunden ihrer Ohnmacht gelang es ihm, ihre Beine an den Stuhl zu fesseln und sie aufrecht hinzusetzen. Er trat einen Schritt zurück und betrachtete sie. Dann wischte er sich mit dem Ärmel Speichel und Blut vom Mund, hob die Pistole auf und zielte auf sie. Erst jetzt sah sie ihn zum ersten Mal richtig an. Die dunklen Augen, aus denen die Tränen wie aus Fontänen schießen konnten, die langen Arme, der magere Körper, der jetzt einem erwachsenen Mann gehörte. Ein Zucken ließ seinen Körper erschüttern,wie ein Hund, der eine Fliege aus seinem Fell verscheuchen wollte. Sie kannte dieses Zucken. Er hatte es immer schon gehabt.
»Du?«
Er grinste. Er hatte Blut im Mund, und sie war zufrieden mit sich, dass sie ihn wenigstens ordentlich getroffen hatte.
»Hast du nicht all die Jahre auf mich gewartet? Hast du nicht immer gewusst, das wir uns eines Tages wiedersehen würden?«
Sie wollte den Kopf schütteln, während die einzelnen Puzzlestücke auf ihren Platz fielen. Aber er tat zu sehr weh, darum hielt sie ihn still, heftete aber ihren Blick auf ihn, um deutlich zu machen, dass sie keine Angst hatte.
»Was willst du?«
Er spuckte Blut auf ihren Boden.
»Keine Sorge, von dir will ich nichts. Ich habe von deinen jugendlichen Liebhabern gehört. Lächerlich. Eine alte Tante wie du!«
»Na ja, Jugend allein genügt mir nicht. Nein, ein appetitlicher, muskulöser Körper, darum geht es mir.«
Sie ließ ihren Blick abschätzend über seinen Körper gleiten. Er hatte sich kaum verändert, sah aus wie ein Kind. Arme und Beine so dünn wie Streichhölzer und ein schmales, langes und trauriges Gesicht.
»Na prima, danke. Ich begrüße dein mangelndes Interesse.«
Er kam einen Schritt auf sie zu, packte ihre Haare und riss ihren Kopf mit einem Ruck in den Nacken. Die Mündung der Pistole drückte er unter ihr Kinn.
»Wo ist er?«
Tropfen seines blutigen Speichels regneten auf sie herab.
»Wer?«
»Das weißt du ganz genau. Die Zeit ist reif. Jetzt wird abgerechnet. Wo ist er?«
Das klang zwar melodramatisch, aber sie zweifelte keinen Augenblick daran, dass er es ernst meinte. Eigentlich hatte sie keine Probleme damit, ihm den Weg zu der gewünschten Personzu zeigen, aber auf einige Fragen benötigte sie erst noch Antworten.
»Diese E-Mails, waren die von dir?«
»Natürlich waren die von mir. Von wem hätten sie sonst sein sollen? Wer hätte das noch alles wissen können?«
»Und diese Informationen hast du in den vielen Jahren mit dir herumgeschleppt? Warum? Armer Cato. Armer, armer Cato.«
Sie ließ ihre Stimme ganz weich klingen, wie damals, als sie ihn im Arm gehalten und gewiegt hatte, wenn er bei ihr Trost gegen die vielen Schläge gesucht hatte, die ihm das Leben versetzt hatte. Seine Reaktion war unmittelbar und sofort sichtbar. Seine Züge lösten sich auf, seine Lippen zitterten, aus der Nase lief Rotz. Erneut erschütterte ein
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