Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt
Olsen?«
»Zu entfernt, kein Grund, um sie als befangen zu bezeichnen. Klugerweise hatte sie das aber Hartvigsen erzählt, bevor sie auf den Fall angesetzt wurde.«
William und Sally scheinen sich Jahre vor ihrer Ehe auf einem Familienfest kennengelernt zu haben. Als sie sich dann in der Klinik »Skråen« wiedertrafen, war die Basis schon bereitet. Aber dass zwei Menschen mit diesen Erbanlagen ein Kind zeugten, sollte katastrophale Konsequenzen haben.
»Und was jetzt? Was passiert mit Lena Lund?«
»Sie ist vorläufig suspendiert, das wird ein Disziplinarverfahren geben. Aber wer weiß schon … Sie ist gut.«
»Ein bisschen zu gut«, meinte Bo und schlürfte von seiner Schokolade. Mit einem Milchbart auf der Lippe fragte er: »Dann ist ja alles beim Alten?«
Sie dachte kurz nach. Wagner hatte sich vom Dienst beurlauben lassen; Rose stand hinter ihrem Rücken in engem Kontakt mit ihrem Halbbruder Peter B; ihr Sohn hatte sich auf Djursland verschanzt und wollte sie nicht sehen; sie war vor kurzem einer lebensgefährlichen Situation ausgesetzt gewesen, und Bo flirtete mit der Frau am Nachbartisch.
»Doch, das kann man sagen. Alles beim Alten.«
Trotzdem fühlte sich das alles nicht falsch an. In ihrem Leben gab es die Unterscheidung von Richtig und Falsch, von Gut und Schlecht. Jemand musste daran glauben und festhalten. Warum nicht sie?
Sie warf der Frau am Nachbartisch einen warnenden Blickzu. Es gab schließlich auch die Unterscheidung von Dein und Mein. Vor allem, wenn Liebe mit im Spiel war. Das waren ihre Gedanken, als sie sich vorbeugte und Bo demonstrativ den Milchbart von der Oberlippe leckte.
Leseprobe aus
Elsebeth Egholm
Der Menschensammler
Dicte Svendsen ermittelt
Kriminalroman
Aus dem Dänischen
von Kerstin Schöps
ISBN 978-3-7466-2662-8
Broschur
441 Seiten
KAPITEL 1
Der Tod an sich hat nichts Schönes, aber manchmal gibt es mildernde Umstände.
Zum Beispiel die Tatsache, dass die Sonne bei dem Begräbnis schien und eine Amsel sich dazu entschlossen hatte, vom Wipfel einer Birke ein Solo vorzutragen.
Dicte lauschte dem Vogel und dem Rascheln der Blätter im Wind. Dann vernahm sie plötzlich das Geräusch von Erde, die auf Dorothea Svenssons Mahagonisarg mit den blankgeputzten Messinggriffen aufschlug, und vermisste Bo. Natürlich konnte sie eine Beerdigung allein überstehen, und schließlich lag auch nicht ihre eigene Mutter in dem Sarg. Aber etwas fehlte ihr, ein Arm, der sich um ihre Schulter legte, eine Hand, die ihren Nacken berührte. Viel mehr verlangte sie doch gar nicht. Aber er hatte eine gute Entschuldigung, immerhin war es das letzte Spiel der Saison, und AGF-Århus trat vor mehr als 17 000 Zuschauern gegen HIK-Hellerup an. Es gab Dinge, die wichtiger waren als Beerdigungen, zumindest wenn man freiberuflicher Fotograf war und ein Wochenendhonorar einstreichen wollte.
Sie sah sich im Kreis der Trauernden um, die sich um das offene Grab herum aufgestellt hatten. Der Pfarrer hatte die Hände gefaltet.
»Vater unser, der du bist im Himmel …«
Ida Marie hatte rote, geschwollene Augen, die in Tränen ertranken, obwohl Dorothea alles andere als das Musterbeispiel einer Mutter gewesen war. An der einen Hand hielt sie ihren vierjährigen Sohn Martin, in der anderen ein paar langstielige rote Rosen. John Wagner stand dicht hinter ihr und hatte einen Arm um ihren Körper geschlungen. Dicte fragte sich, ob es mit der Aufklärung des Mordes an dem achtzehnjährigen Mädchen aus Hadsten wohl voranging, der seit Tagen die Schlagzeilender Tageszeitungen beherrschte, zu denen auch einer ihrer Artikel gehörte. Aber im Moment war der Polizist nur Privatmann, und sie würde ihre Fragen zurückhalten und warten, bis sie ihn wieder in seinem Büro erreichen konnte.
Wagners Sohn, der vierzehnjährige Alexander, stand neben ihm, mit dem geistesabwesenden Blick eines Teenagers. Auch Anne und Anders, die gerade mit ihrem Sohn aus Grönland zurückgekehrt waren, gehörten zum engeren Freundeskreis. Auch diese Familie stand dicht aneinandergedrängt, als hätten sich alle Hinterbliebenen in kleinen Gruppen zusammengefunden, um sich gegen den Tod dort unten im Sarg zu schützen. Alle, nur sie nicht. Sie war nur umgeben von Luft, als befände sie sich in einer unsichtbaren Blase.
Sie hörte die Schritte hinter sich, doch ehe sie sich umdrehen konnte, stand er hinter ihr und füllte die Leere aus.
»Da ist was draußen beim Stadion passiert.«
Bo hatte es ihr ins Ohr geflüstert.
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