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Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt

Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt

Titel: Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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der Bushaltestelle. Das schaffst du.«
    »Bekommen wir dann Pizza? Auch Kaj?«
    Sie sah listig aus, und der Hund ergänzte das Bild perfekt. Zwei Augenpaare starrten ihn hungrig an.
    »Ja, ja, das verspreche ich. Wir gehen alle eine Pizza essen.«
    Zufrieden wickelte sie den Anorak enger um sich, nahm die Hundeleine und ließ sich das letzte Stück durch den Wald ziehen.
     
    Am Bahnhof stiegen sie aus dem Bus aus. Schon jetzt, nach nur wenigen Tagen, fühlte es sich merkwürdig an, anderen Menschen so nah zu sein. Als würde er einen Film über Wesen sehen, die nichts mit ihm zu tun hatten. Aliens von einem anderen Stern, die wie Automaten durch die Gegend liefen und Dinge taten, die vollkommen sinnlos wirkten. Sie fuhren mit dem Fahrrad oder dem Auto oder gingen zu Fuß. Einige joggten, mit Sportsachen nach den neuesten Vorschriften bekleidet. Sie kauften ein, trugen Taschen und Tüten. Sie wichen den Wasserpfützen aus und sahen sich um, bevor sie die Straße überquerten. Sie benahmen sich auf eine Art und Weise normal, die für ihn unendlich weit weg war. Normal. Er schluckte das Wort zusammen mit ein bisschen Speichel hinunter. Das war kein Wort für ihn.
    Er wusste nicht genau, warum er das hier tat, aber nun hatte er die Verabredung getroffen und würde sehen, was sie mit sich brachte. Eine Schwester. Was sollte er mit einer Schwester? Als ob er nicht schon genug Schwestern hatte, genau genommen hatte er gar nichts anderes. Er rechnete nicht damit, das Gefühl von Blutsverwandtschaft zu spüren. Und trotzdem. Da war ein gewisses Maß an Neugierde, das sich mit dem geheimen Wunsch mischte, ihre gemeinsame Mutter zu ärgern, das konnte er nicht leugnen. Ein bisschen am Stuhlbein wackeln. Die Hunde loszulassen. Oder irgendetwas los- und freizulassen, vielleicht sichselbst. Denn er war nicht dumm und wusste genau, dass er noch in einem Gefängnis eingesperrt war.
    Während sie so die Straße entlangliefen und bestimmt einen seltsamen Eindruck machten, fragte er sich, wie Rose wohl in Wirklichkeit aussah. Das Foto ihres Facebook-Profils war hübsch, aber auch unpersönlich. Außerdem konnten Fotos lügen, er musste an sein eigenes im Strafregister denken.
    Ein Bus hielt an der Haltestelle vor ihnen. Fünf Menschen stiegen aus, dann fiel sein Blick auf sie, und die Welt schien zusammen mit ihm die Luft anzuhalten. Sie sah die beiden nicht, sie sah nicht einmal in ihre Richtung, sondern ging in die andere. So hatte er die Gelegenheit, stehen zu bleiben und ihr hinterherzusehen. Er war nie gut gewesen, Dinge in Worte zu fassen, und suchte hilflos nach den richtigen, um Rose zu beschreiben. Aber keins der Worte, die er in den vergangenen vier Jahren in Horsens zu hören bekommen hatte, konnte ihm jetzt dabei helfen. Vielleicht gab es die gar nicht, die Worte, um diese Schwester zu beschreiben. Die waren noch nicht erfunden, sondern warteten irgendwo auf so ein Wesen mit dieser Mischung aus Anmut und Selbstsicherheit, das darum bat, sie zugeteilt zu bekommen.
    My stieß ihren Ellenbogen in seine Seite, und erst da ließ er die Luft entweichen, die er die ganze Zeit angehalten hatte.
    »Warte mal eben.«
    »Pizza«, sagte sie und zeigte auf ein italienisches Restaurant. »Jetzt?«
    Einen Augenblick lang spielte er mit dem Gedanken, sie in der Pizzeria zu parken, während er Rose in dem vereinbarten Café traf. Aber da war ja Kaj. My würde niemals akzeptieren, dass ihr Hund draußen angebunden sein musste, während sie drinnen saß und eine Pizza aß. Und er bezweifelte stark, dass die ansonsten sehr freundlichen Italiener einen sabbernden Schäferhund im Restaurant zulassen würden.
    »Später«, antwortete er und lief los. »Wir gehen zuerst ins Café.«
    »Essen«, sagte sie. »Mund läuft.«
    »Allerdings.«
    »Voll Wasser.«
    »Ich bin kein Millionär. Wenn du auch etwas im Café essen willst, dann bekommst du keine Pizza.«
    Sie trat ihm gegen das Schienenbein. Er schluckte den Schmerz hinunter, weil er wusste, dass es ein Liebesbeweis war. Wenn es ihr möglich gewesen wäre, hätte sie ihm einen Kuss gegeben. Aber in Mys Welt existierten nur Filmküsse, wo sich die Münder mit mechanischer Präzision trafen. Sie konnte gut imitieren, aber ihre Gefühle waren ganz woanders. Die kreisten zum Beispiel ums Essen. Sie hätte niemals verstanden, wie es ihm gerade ging. Er wusste es ja selbst kaum.
    Sie hatten das Café erreicht, und er sah Rose am Bartresen stehen. Sie hatte ihre Jacke ausgezogen. Schlank war sie und

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