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Radau im Reihenhaus

Radau im Reihenhaus

Titel: Radau im Reihenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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reden; deshalb zog Michael bei Einbruch der Dämmerung etwas enttäuscht wieder nach Hause, denn er hatte nichts über uns herausbringen können, was für eine Weitergabe geeignet gewesen wäre. Um so mehr hatte Felix über unsere Nachbarn erfahren, und es machte ihm einen Heidenspaß, mir die Freuden meines künftigen Lebens blumenreich zu schildern.
    »Morgens lädst du dir zweckmäßigerweise den Dr. Brauer ein. Angeblich frühstückt der nur Bourbon, weil er das so gewöhnt ist. Er soll jahrelang in einem Krankenhaus in Bengasi gearbeitet haben und kommt mit den europäischen Tafelsitten nicht mehr zurecht. Anscheinend wird er nur so lange nüchtern, wie er braucht, um eine neue Flasche aus dem Keller zu holen. Er ist sogar verheiratet, was den Schluß nahelegt, daß seine Frau auch Alkoholikerin oder aber abgrundhäßlich ist und nichts Besseres abgekriegt hat. Gib mir mal den kleinen Schraubenzieher!«
    Felix baute gerade das Bücherregal zusammen und hatte mich als Handlanger verpflichtet.
    »Dann existiert noch eine Familie Vogt, ich glaube, sie wohnt genau vis-à-vis, die wohl nur dadurch bemerkenswert ist, weil es über sie nichts zu bemerken gibt. Nach Michaels unmaßgeblicher Ansicht ist Herr Vogt ein Trottel, Frau Vogt eine blöde Gans und der Sohn Karsten ein Idiot, der immer weiße Strümpfe trägt. Der Idiot ist fünf Jahre alt – ich brauche die Kombizange! – und darf niemals Eis essen, was Michael für eine seltene Form von elterlicher Grausamkeit hält. Wie viele Bretter kommen hier eigentlich rein?«
    Er stärkte sich mit einem Zug aus der Mineralwasserflasche, prüfte zufrieden sein bisheriges Werk und klärte weiter auf: »Die Missionare, Strassmann heißen sie oder so ähnlich, sind erst im vergangenen Jahr aus Afrika zurückgekommen, wo sie dreißig Jahre lang kleine Heidenkinder bekehrt haben. Vermutlich gibt es jetzt keine mehr, und deshalb sind sie wohl heimgekehrt. Das ganze Haus soll vollgestopft sein mit Affen, Krokodilen und anderen niedlichen Tierchen – mumifiziert natürlich –, und Herr Strassmann beginnt jeden Satz mit ›Als wir noch in Afrika waren…‹ Übrigens sind sie Vegetarier, aber aus Überzeugung und nicht wegen der Fleischpreise. Weißt du eigentlich, was ein Steak kostet? Ich hab’ mir vorgestern eins gekauft, und seitdem weiß ich, warum in Indien die Kühe heilig sind.«
    Nach einer Stunde stand das Regal, und ich wußte in groben Zügen, mit wem ich es in Zukunft zu tun haben würde. Zwar kannte ich noch niemanden persönlich; lediglich Frau Wittinger hatte mich mit einem gemessenen Kopfnicken begrüßt, als sie ihre Betten und ich meine Blumentöpfe auf den Balkon gebracht hatte, aber ich hatte schon jetzt den Eindruck, als ob keine Familie zu einer anderen paßte. So ähnlich wie Fische im Aquarium – entweder nehmen sie keine Notiz voneinander, oder sie fressen sich gegenseitig auf.
    Als Rolf nach Hause kam, war das Schlimmste überstanden. Das Haus sah schon wohnlich aus, und ich fand sogar auf Anhieb die richtige Vase für den mitgebrachten Rosenstrauß.
    »Ihr seid aber fleißig gewesen«, geruhte er gnädig zu bemerken, um gleich darauf festzustellen: »Das Bild hängt schief!«
    »Häng dich am besten gleich daneben!« knurrte Felix und gab dem beanstandeten Gemälde einen leichten Stoß, worauf es unter Mitnahme eines zehn Quadratzentimeter großen Stückes Wand zu Boden fiel.
    »Stümper!« sagte Rolf.
    »Nee, Edelputz!« verbesserte Felix. »Du brauchst nur laut zu niesen, dann kommt das Zeug schon runter. Ihr hättet hier auch Tapeten kleben sollen!«
    Wir klebten keine Tapeten, sondern hängten ein größeres Bild über das Loch; wir erfreuten uns einen weiteren Tag an Felix’ Anwesenheit, dessen Arbeitseifer zusehends erlahmte; wir bedankten uns mit einer Riesenbonbonniere bei Frau Obermüller, die sich jeden Morgen die Kinder geholt und sie erst abends wieder zurückgebracht hatte; wir beseitigten die letzten Spuren des Umzugs, indem wir sämtliche Scherben einschließlich der des Toilettenfensters zur zwanzig Kilometer entfernten Müllkippe brachten; und rechtzeitig zu Beginn des Wochenendes, das im Wiesengrund offenbar schon am Freitagmittag begann, waren wir bereit, mit dem Leben im Grünen anzufangen.

Drittes Kapitel
    »Müssen wir eigentlich Antrittsbesuche machen?« fragte ich Rolf, als wir am Samstagmorgen bei einem reichlich späten Frühstück saßen und auf den Schotter starrten, der noch immer keine Terrasse geworden war. Im

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