Radau im Reihenhaus
Frau… ach, wie war doch gleich Ihr Name?«
Rolf erhob sich, und mit ihm erhob sich das Spitzendeckchen. Es hatte sich in den Ärmelknöpfen verhakt. »Sanders, angenehm!« murmelte er und ergriff die dargebotene Hand. Dann starrte er hilflos auf das Anhängsel, das mit seinem Arm auf und ab schwenkte. »Verzeihung, da muß ich wohl…« Ungeschickt zerrte er an dem Deckchen, unterstützt von Frau Vogt, die dieses Mißgeschick gar nicht begreifen konnte. »Bitte Vorsicht, das ist Klöppelspitze. Alles Handarbeit, so etwas bekommt man ja gar nicht mehr!«
Aufgeregt zupfte sie an dem Schoner herum. Endlich war Rolf von diesem unmännlichen Accessoire befreit und konnte sich wieder setzen. Frau Vogt entfernte vorsichtshalber auch das andere Spitzengebilde vom Sessel und legte es sorgfältig auf den gläsernen Teewagen.
»Zum Glück ist nichts passiert«, lächelte sie erleichtert, »aber Sie glauben gar nicht, wie empfindlich diese feinen Handarbeiten sind. Ich selbst wage mich an so etwas noch gar nicht heran, aber dafür häkle ich sehr gerne. Diese Decke hier ist auch von mir.« Beifallheischend strich sie über den Tisch.
Die nächsten Minuten verbrachte ich damit, die Decke, die Sofakissen und die eilends aus dem Nußbaumschrank herbeigeholten gehäkelten Serviettenringe zu bewundern. Als ich mich gerade erheben wollte, um nun auch den selbstgehäkelten Bettüberwurf im Schlafzimmer zu besichtigen, mahnte Rolf zum Aufbruch.
»Wir möchten nicht länger stören«, versicherte er todernst. »Außerdem können wir die Kinder nicht so lange alleine lassen.«
Dabei waren sie gar nicht allein; Michael versah angemessen honorierten Dienst als Babysitter. Für Geld tat er alles, sogar eine gute Tat.
»Ach richtig, Sie haben ja auch Kinder«, bemerkte Frau Vogt mit einem eingefrorenen Lächeln. »Zwei Jungs, nicht wahr? Einer von ihnen, ich glaube, es war der größere, hat gestern unseren Karsten mit Lehm beworfen. Natürlich habe ich ihm gesagt, daß sich das nicht gehört, aber er schien mich nicht verstehen zu wollen.«
»So etwas versteht er nie!« platzte ich heraus. »Sicher wollte er nur anbändeln und hat nicht gewußt, wie er das machen soll.«
»Nun ja, das ist möglich«, sagte Frau Vogt wenig überzeugt. »Im allgemeinen spielt unser Junge niemals auf der Straße. Er ist ein sehr reinliches Kind und haßt es, sich schmutzig zu machen. Wenn der Garten erst einmal fertig ist, wird er natürlich dort spielen, aber vorläufig bleibt er im Haus.«
»Armes Kind«, sagte ich zu Rolf, als sich endlich die Haustür hinter uns geschlossen hatte.
»Armer Mann!« erwiderte der meine. »Hast du gesehen, wie der auf der Sesselkante herumrutschte und nicht wagte, den Mund aufzumachen? So etwas von Pantoffelheld ist mir noch nicht untergekommen, und ich kenne eine ganze Menge. Mich eingeschlossen!«
Inzwischen hatten wir das Haus Nr. 12 erreicht. Rolf klingelte. Eine Zeitlang tat sich gar nichts. Dann hörten wir Schritte und leises Sprechen. Schließlich öffnete sich die Tür eine Handbreit. Hinter einer massiven Sicherheitskette lugte ein spitznasiges Gesicht hervor. »Was wollen Sie?«
»Mein Name ist Sanders. Ich bin…«
»Wir kaufen nie etwas an der Tür!« unterbrach die Spitznasige Rolfs Sprüchlein.
»Ich will Ihnen ja gar nichts verkaufen! Wir sind Ihre neuen Nachbarn und möchten uns lediglich bekanntmachen.«
»So? Nachbarn sind Sie? Die anderen kennen wir auch nicht. Wir verkehren mit niemandem. Mit Ihnen werden wir auch nicht verkehren! Guten Tag!« Unter Kettengerassel knallte die Tür wieder zu.
»Das war eine glatte Abfuhr!« stellte Rolf mit bemerkenswerter Auffassungsgabe fest. »Eigentlich schade. Seitdem ich die Bewohnerin gesehen habe, würde ich auch ganz gern mal ihr Verlies besichtigen.« Er zuckte mit den Schultern. »Was nun? Haken wir noch einen ab, oder stürzen wir uns gleich auf den Whisky? Ich könnte einen vertragen!«
Ich sah auf die Uhr. Halb zwölf. »Klappern wir doch noch die Missionare ab, dann haben wir bei dem Tropendoktor wenigstens ein Gesprächsthema. Von Afrika habe ich nämlich nicht viel Ahnung. Vielleicht können Strassmanns meine Bildungslücken ein bißchen füllen.«
Die Missionare waren nicht zu Hause. Entgegen Tante Lottis Weisungen hinterließen wir keine Visitenkarten, weil wir gar keine hatten, dafür aber ein paar erstklassige Fußabdrücke auf den frisch gescheuerten Treppenstufen. Lehm mag für Bildhauer geeignet sein, als Straßenbelag ist er es
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