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Radegunde von Thueringen

Radegunde von Thueringen

Titel: Radegunde von Thueringen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Knodel
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Zweigen und Blumensträußen. Überall entlang den Hauptstraßen standen erwartungsfrohe Menschen, hüpften Kinder ungeduldig an den Händen ihrer Mütter.
    „Wann kommt der Umzug, Mama? Ich will die Königin sehen!“
    Alle blickten in Richtung der Sankt-Hilarius-Kirche, wo ein feierlicher Dankgottesdienst anlässlich der Fertigstellung des Klosters Sankt-Marie stattfand. Von hier aus sollte der Festumzug durch die Stadt bis zum neuen Kloster führen, innerhalb dessen Mauern dann die Weihe der Äbtissin Agnes vollzogen werden würde.
    Von dem Dach des kleinen Hauses gegenüber der Sankt-Hilarius-Kirche konnte man direkt in das Gebäude hineinsehen. Der Hausbesitzer, ein dicker Töpfer mit schütterem hellen Haar, das ihm wie Spinnweben ums Gesicht wehte, nutzte seine besondere Sicht weidlich aus. „Was tun sie gerade?“, fragte ein neugieriges Weib von der Straße aus.
    „Sie beten das Paternoster!“, rief der Dicke wichtig.
    „Das hast du vor zehn Minuten auch schon gesagt, Töpfermeister.“
    „Jedenfalls beten sie. Jetzt dreht sich die Königin wieder um! Sie scheint auf etwas zu warten.“
    „Sicher auf den König. Der ist immer noch nicht da“, wusste ein älterer Mann, der neben dem Weib stand.
    „Wie soll er auch? Er musste wohl wieder gegen Chramn ziehen. Habt ihr das nicht gehört?“ Das war wieder der Töpfer vom Dach aus. „Diesmal soll er sich den Bretonenfürsten als Verbündeten gesucht haben.“
    „Ja, man hat so seine liebe Not mit den Kindern. Das geht uns armen Schluckern nicht anders als denen da oben“, jammerte das Weib.
    „Da hilft nur eine ordentliche Tracht Prügel!“, grummelte der alte Mann.
    Ein Kirchendiener öffnete die Flügel der breiten Tür. Ein mächtiger Choral drang heraus auf die Straße. „Gloria deo patri et Christo unigeto. Una cum sancto spiritu in sempiterna secula.“
    „Ich glaube, jetzt ist Schluss!“ Der Töpfer kletterte von seinem Dach. ,Sanctospiritus‘ sagt der Priester immer am Ende einer Messe.“
    Tatsächlich hörten sie jetzt Füße scharren und die Prozession quoll aus der Tür. Vornweg liefen zwei halbwüchsige Jungen mit Kirchenfahnen an langen Stangen. Dann folgten gemessenen Schrittes die Bischöfe Pentius und Germanus. Gleich darauf schritten Radegunde und Agnes, beide in leuchtend weißen Nonnenkleidern.
    Bei ihrem Anblick erhob sich großer Jubel, die beiden Frauen hatten sich in den vergangenen zwei Jahren überall in der Stadt beliebt gemacht. Besonders für Kranke und Arme waren sie stets ansprechbar, halfen, wo immer es möglich war. Auch das neue Kloster rang den Menschen in Poitiers Respekt ab, es war ungewöhnlich groß und seine hellen Mauern leuchteten in der Sonne. Hohe Wachtürme sorgten für die äußere Sicherheit. Nur die Grablege der Nonnen, ein kleiner Park, der jetzt noch ungenutzt war, lag außerhalb der Mauern. Dort sollte eine Basilika entstehen. Außerdem hieß es, die Königin habe ihre Stiftung mit einem mächtigen Fluch belegt, der alle, die dem Kloster Böses wollten, in die ewige Verdammnis schicken werde.
    Radegunde winkte den Leuten zu, überwältigt von deren Anteilnahme. „Sieh nur, die vielen Menschen, Agnes. Ist das nicht wunderbar?“
    „Ja, ich danke dem Herrn für diesen Tag. Ihn zu erleben hat uns allerdings viel Schweiß gekostet.“ Sie fing einen Blumenstrauß auf, der ihr zugeworfen wurde. „Weiße Margeriten! Die werden sich auf dem Altar prächtig machen.“
    „Wo bleibt nur Chlothar? Er hatte versprochen, zu kommen.“
    „Verlass dich nicht drauf, wenn es stimmt, was die fahrenden Händler berichten, ist er in der Bretagne und kämpft gegen Chramn.“
    „Gütiger Jesus, hört das denn nie auf? Dieses Gemetzel zwischen Brüdern, zwischen Vater und Sohn?“ Sie versuchte, der jubelnden Menge am Straßenrand und auf den Dächern ein glückliches Gesicht zu zeigen.
    „Immerhin hatte Chlothar das Reich wieder vereint. Er kann tatsächlich nicht zulassen, dass Chramn alles zunichtemacht.“
    Sie nickte bitter. „Das ist eine Lektion, die ich gut gelernt habe. Schon Germar, der Waffenwart meines Vaters, versuchte mir beizubringen, dass ein König viele unverständliche Dinge tun muss. Damals hatte ich das nicht begriffen.“
    Die Prozession war inzwischen vollständig aus der Kirche heraus und zog sich auf der Länge der Hauptstraße durch Poitiers. Herzöge der Nachbarstädte mit ihren Familien, hohe geistliche Würdenträger, Mönche und Nonnen zogen in festlichen Gewändern durch die

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