Radegunde von Thueringen
Stadt. Aus Saix war Äbtissin Fridovigia gekommen, aus Athies Hauptmann Sigibald, und selbst Pater Athalbert, trotz seines hohen Alters.
Plötzlich kam im hinteren Teil des Zuges Unruhe auf. Einzelne Rufe drangen nach vorn: „Reiter!“
„Der König ist angekommen!“
Die Prozession geriet ins Stocken. Agnes fasste Radegundes Arm. „Chlothar hat es doch noch geschafft!“
Ein Dutzend Reiter schoben sich an dem Zug vorbei. Rücksichtslos drängten sie ihre Pferde durch die Menschenmenge. „Macht Platz für den erhabenen König Chlothar! Geht beiseite!“
Endlich waren sie vorn angekommen. Mit vor Erschöpfung grauen Gesichtern und schlammbespritzter Kleidung sahen sie alle gleich aus. Dann löste sich einer von ihnen schwerfällig aus dem Sattel und sprang vor Radegunde auf die Straße. Die Leute jubelten auf. „Chlothar! Es lebe der König!“
Sie begrüßte ihn lächelnd. „Da bist du endlich!“
Sein müdes Gesicht war von vielen tiefen Falten durchzogen, in denen sich der Staub gesammelt hatte. Unter seinem Helm lugten verfilzte graue Strähnen hervor und sein Harnisch war voller Blutspritzer. Doch er grinste zufrieden. „Ja. Und von heute an herrscht Ruhe im Land. Chramn ist tot.“
„Gott gebe seiner Seele Frieden!“, murmelte Radegunde und bekreuzigte sich.
„Das dürfte selbst dem Herrn schwerfallen, nachdem, was der Bengel alles auf sich geladen hat“, grummelte Chlothar verbissen.
Inzwischen hatte sich die Nachricht von Chramns Tod unter den Umstehenden verbreitet und flog schneller als ein Pfeil durch die Straßen der Stadt. Hier und da wurden Hurra-Rufe laut, denn besonders die anwesenden Gäste aus Tours hatten in den letzten Jahren unter Chramns Regierung sehr zu leiden gehabt.
Chlothar reihte sich zwischen den beiden Frauen in die Prozession ein, nachdem er die zwei Kirchenmänner begrüßt hatte. Zwischen den weißen Nonnenkleidern stach seine schmutzige Rüstung umso mehr heraus.
„Was ist genau passiert?“, fragte Agnes neugierig, als Radegunde keine Anstalten machte.
„Nun, Chramns Rebellion hatte von Anfang an keine Chance. Das Heer des Bretonen taugte nichts, alles armselige Bauern, die besser bei ihren Dreschflegeln geblieben wären. Wir hatten sie im Nu überrannt. Chramn selbst hatte zwar bessere Kämpfer, aber sie waren zu wenige.“
Ein kleines Mädchen aus der Menge lief auf Radegunde zu und reichte ihr eine weiße Rose. Sie nahm sie lächelnd entgegen und strich der Kleinen über den Kopf.
„Ist Chramn im Kampf gefallen?“, fragte Agnes.
„Nein.“ Chlothar wurde plötzlich einsilbig. Im Stillen verfluchte er Agnes’ Neugier.
Radegunde sah ihn an. „Sondern?“
„Muss das jetzt sein?“
„Warum nicht? Irgendwann werde ich es sowieso erfahren.“
Chlothar sah nach vorn. Es blieben noch etwa hundert Schritte bis zum Oratorium des neuen Klosters. Zu viel Zeit, um den Bericht jetzt zu beenden. Er nickte den winkenden Menschen geistesabwesend zu. „Also gut. Er war mit seiner Frau Chalda und seiner Tochter geflohen. Wir haben ihn verfolgt und gefangen genommen.“
„Weiter?“
Er knurrte unwillig. „Wir sperrten ihn in eine Hütte und zündeten sie an.“
„Großer Gott!“, zischte Agnes entsetzt.
Radegunde kannte Chlothar gut genug, um herauszuhören, dass das noch nicht die ganze Geschichte war. „Chalda und das Mädchen?“
Chlothar seufzte. Das Oratorium lag wenige Schritte vor den beiden Jungen mit den Fahnen.
„Sie waren bei ihm.“
Agnes’ Entsetzensschrei ging im Jubel der Menschen unter, als die Fahnen ins Oratorium getragen wurden.
Am Abend sortierten Radegunde und Agnes glücklich und erschöpft die Geschenke. Der Altarraum verschwand beinahe unter den Blumensträußen und Kerzen für die Kirche, die nach dem Willen Radegundes der Heiligen Muttergottes geweiht worden war. Der Abt des Klosters in Tours hatte ihr als wertvolle Reliquie einen Finger des Märtyrers Mammas aus Jerusalem holen lassen.
„Wir werden einen eigenen Altar für diesen heiligen Knochen brauchen“, sinnierte Agnes, die sich immer besser in ihrer Rolle als Äbtissin zurechtfand.
„Warum nicht? Für den Anfang würde jedoch auch ein einfacher Schrein genügen.“
„Ein Schrein reicht vielleicht für den Knochensplitter vom heiligen Andreas, aber hier handelt es sich um einen ganzen Finger!“
Radegunde war mit ihren Gedanken bereits woanders. „Schade, dass Medardus nicht gekommen ist. Ich habe ihm so viel zu verdanken!“
„Vielleicht ist er krank,
Weitere Kostenlose Bücher