Radegunde von Thueringen
poetische Chilperich bekam das ehemalige Kerngebiet seines Vaters mit Soisson als Königssitz, und Sigibert als Jüngster erhielt das Gebiet um Reims.
Radegunde verfolgte von Poitiers aus das politische Geschehen sehr genau. Sie befürchtete, dass die Brüder sich gegenseitig bekriegen würden und das Reich zerfallen ließen. Gleich nach Chlothars Beisetzung richtete sie an jeden von ihnen einen Bittbrief, in dem sie alle vier beschwor, ihr Vaterland zusammenzuhalten und im Frieden zu regieren.
Und doch kam es, wie sie geahnt hatte. Die vier Brüder überzogen das Land mit einem Bürgerkrieg, der ganze Landstriche verwüstete und die Bauern in tiefes Elend stürzte. Hinzu kamen Missernten durch schlechtes Wetter und eine erneute Pestepidemie, der beinahe die Hälfte der fränkischen Bevölkerung zum Opfer fiel. Als ob dies nicht genug wäre, griffen die Awaren Thüringen vom Osten her an. Der junge König Sigibert schlug sie am Flusse Albus und trieb sie zurück.
Poitiers, 567 – 570
Der Herbst brachte noch einmal viel Sonnenschein und milde Temperaturen. Der große Garten des Kloster Sankt-Marie dankte es mit einer Fülle von Gemüse und Obst. Die Nonnen hatten alle Hände voll zu tun. Äpfel und Birnen mussten sortiert und eingelagert werden, ein Teil der Früchte wurde in der Küche mit Honig und duftenden Gewürzen eingekocht. Trauben wurden gekeltert oder gedörrt, Brombeeren und Holunder entsaftet. Die letzten Bohnen, Erbsen und Linsen wurden geerntet, um neues Saatgut zu gewinnen, der Kohl gestampft und in Fässer gebracht, wo er vergären konnte. Steckrüben und Pastinaken lagerten bereits im dunklen Gewölbekeller, die Zwiebeln und Knoblauchzehen kamen jetzt von ihren sonnigen Trockengerüsten dazu.
Eine Handvoll Nonnen zog jeden Tag nach der Morgenmahlzeit in den nahe gelegenen Wald, um Steinpilze und andere Köstlichkeiten zu sammeln. Sie wurden getrocknet und im Winter als kräftiges Suppengewürz verwendet.
Auf einer Holzbank vor der Küche saß eine Gruppe Nonnen in der warmen Sonne und schälte die aussortierten Äpfel. Die Früchte, die wegen eines kleinen Schadens nicht eingelagert werden konnten, wurden sofort zu Apfelmus verarbeitet. An der Stirnseite las eine der Frauen aus der Bibel vor. Alle halbe Stunde wechselten sie sich dabei ab. Radegunde war als Nächste dran, doch das hatte noch Zeit. Sie lauschte dem Text und genoss den friedlichen Vormittag in einträchtiger Arbeit. Dabei warf sie ab und zu einen Blick auf die Novizin, die ihr gegenüber lustlos an einem Apfel herumschnitzte. Chlothars Enkeltochter Basina, die Tochter des Königs Chilperich, war seit nunmehr einem halben Jahr in Sankt Marie und wollte sich einfach nicht einfügen. Immer wieder machte sie den Nonnen mit ihren Extravaganzen und störrischen Widerreden das Leben schwer. Auch jetzt arbeitete sie nachlässig und langsam. Wenn die anderen drei Äpfel geschält hatten, legte sie gerade mal einen in die Schüssel, und sie schnitt so viel weg, dass vom Apfel nicht viel übrig blieb.
„Basina, du musst die Schale so dünn wie möglich wegnehmen, du verschwendest das gute Fruchtfleisch!“, mahnte Radegunde leise.
„Ich versuch’s ja!“, maulte das Mädchen und verdrehte die Augen. „Meine Finger tun mir weh. Sie sind schon ganz wund von dem Messerrücken.“
„Du wirst dich daran gewöhnen!“
Als eine Novizin auf sie zukam, ahnte sie, dass es nun vorbei sei mit friedlicher Arbeit. Es war Agnes’ Gehilfin Baudonivia, und sie kam nie ohne triftigen Grund. Die junge Frau beugte sich zu ihr herab und flüsterte: „Mutter Agnes wünscht dich zu sprechen. Es ist wichtig.“
Seufzend legte sie das Schälmesser beiseite, nickte den Schwestern entschuldigend zu und folgte dem Mädchen.
Im Scriptorium, dem Reich der Äbtissin, stand Agnes an ihrem Pult und las die Briefe, die am späten Morgen mit einem Boten eingetroffen waren.
„Was gibt es, meine Liebe?“
Agnes hob den Blick. „Du weißt, dass ich dich nicht gern von deiner geliebten Arbeit wegholen lasse, aber ich weiß mir keinen Rat in einer Sache. König Chilperich schreibt mir. Er will Basina zurückholen, um sie mit dem Sohn des spanischen Königs zu verheiraten.“
Radegunde hob die Augenbrauen. „Was gedenkst du zu tun?“
„Du kennst unsere Regeln! Es gehört sich nicht, dass eine Christus geweihte Jungfrau wieder in die sündhafte Welt zurückkehrt, und sei sie eine Königstochter!“
„Du hast Recht. Wir können für sie keine Ausnahme
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