Radegunde von Thueringen
Was denkst du denn?“ Er schaufelte Hafer in die Raufe. „Und du? Hast du nicht Verbot, die Ställe zu betreten? Was ist, wenn Chlotberga dich erwischt? Für eine künftige Königin ziemt sich das nicht!“
„Du bist gemein!“
„Ich weiß wenigstens noch, wo ich herkomme!“
Radegundes Gesicht wurde weiß. Sie riss ihn vom Pferd weg und drückte ihn gegen die Stallwand. „Jetzt hör mir gut zu, du hochnäsiger Bengel: Ich weiß sehr gut, woher ich komme, und ich werde eher sterben, als Königin von diesem verfluchten Land zu werden!“
„Große Worte!“ Er war in den letzten Jahren tüchtig gewachsen und konnte ihr direkt in die Augen sehen. „Glaubst du etwa immer noch, dein Vetter holt uns hier raus?“
Ihre Wut verwandelte sich in Niedergeschlagenheit. Sie wandte sich ab und ging hinaus. Flüchtig sah sie Fledas Kopf am Fenster des Haupthauses verschwinden. Chlotbergas Tochter war der perfekte Spitzel. Sie würde sofort zu ihrer Mutter laufen und von Radegundes ungehörigem Benehmen berichten. Doch das war ihr egal.
Vom Tor her klang Hufschlag. Radegunde erkannte Karol auf einem der schnellen Botenpferde des Königs. Er ritt auf sie zu, saß ab und verneigte sich: „Seid gegrüßt, Prinzessin. Wo finde ich Hauptmann Sigimer?“
„Karol! Bringst du wichtige Nachrichten?“
„Ja.“ Er zögerte und sah sich vorsichtig um. „Ihr erfahrt es sowieso: Königin Guntheuka ist tot.“
Sie erschrak. Chlothars Frau war noch nicht sehr alt gewesen. Was mochte passiert sein? Sein Blick war voller Mitleid, doch sie fragte nicht.
„Das tut mir leid.“ Sie wies über den Hof. „Ich denke, Sigimer wird in der Waffenkammer sein. Er lässt wieder einmal die Schilde und Schwerter zählen.“
Karol nickte dankbar und eilte davon.
Im Saal hockte Chlotberga wie eine Kröte neben dem kalten Kamin. „Wo bist du gewesen?“ Fleda stand mit ausdruckslosem Gesicht hinter ihrer Mutter.
„Im Stall. Ich musste meinen Bruder sprechen.“
„Dann lass nach deinem Bruder schicken, wie es sich geziemt! Du weißt genau, …“
„Die Königin ist tot!“ Fast schadenfroh schleuderte Radegunde ihr die Nachricht entgegen.
„Was sagst du?“ Ihre kleinen gelblichen Augen starrten sie an. „Wie kommst du darauf?“
„Ein Bote ist gekommen! Fleda muss ihn verpasst haben!“ Der kleine Pfeil gegen die Spionin musste sein. Doch Fleda tat so, als verstünde sie nicht.
„Gütiger Jesus, dann ist es wahr!“ Bestürzt eilte Chlotberga nach draußen. Ihre Tochter folgte ihr.
Agnes saß über einer Stickarbeit, als Radegunde sie fand.
Sie ließ die Nadel sinken und hörte zu. „Du weißt, was das bedeutet?“, fragte sie leise.
„Ja, jetzt wird er mich holen lassen.“
Sie schwiegen eine Weile.
„Ich werde fliehen!“, sagte Radegunde schließlich.
„Wie willst du das anstellen? Was denkst du, wie weit du kommen wirst? Und wo willst du überhaupt hin?“
„Nach Ravenna! Ich werde mich als Mann verkleiden, vielleicht als Händler.“
„Und womit willst du handeln?“
Sie überlegte. „Mit Kräutern?“
„Damit kennst du dich viel zu wenig aus! Jeder würde es merken.“
„Du hast Recht.“ Sie grübelte weiter. Schließlich bekannte sie niedergeschlagen: „Ich kann eigentlich überhaupt nichts wirklich gut.“
„Das lass nicht die Kinder hören!“, wandte Agnes lächelnd ein.
„Dann gehe ich als Geschichtenerzähler!“ Sie erhob sich.
„Wo willst du hin?“
„Ich packe meine Sachen.“
Agnes warf ihre Stickerei in einen kleinen Korb. „Warte! Wir beraten in aller Ruhe. Hol Besa her! Und pass auf den Bluthund Fleda auf!“
Bis zur nächsten Neumondnacht war alles organisiert. Bertafrid hatte versprochen, zwei Pferde von der Weide zu stehlen und im Wald zu verstecken. Sigibald war eingeweiht worden und hatte Lederwämser, ein paar leichte Messer und Stiefel aus dem Magazin der Krieger beschafft. Diese Ausrüstung hatte er mit den Pferden zu einem Köhler im Wald gebracht. Jetzt fehlte nur noch ein wenig Glück, damit sie unbemerkt den Hof verlassen konnten.
Bertafrid und Besa würden zurückbleiben. „Was soll ich im Gotenland?“, hatte Bertafrid gefragt. „Ich werde hier gebraucht, ich kann all die Gefangenen nicht im Stich lassen.“
Und Besa hatte Radegunde klargemacht, dass sie auf einer Flucht nur hinderlich wäre. Schweren Herzens musste sie einsehen, dass Agnes die Einzige war, die sie begleiten würde. „Ihr werdet mir fehlen!“, flüsterte sie, als sie sich verabschiedete.
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