Radegunde von Thueringen
drängte sich neugierig an der Tür. Sebila scheuchte sie an die Arbeit. „Radegunde, du bleibst! Schließlich kommen sie deinetwegen!“
Sie fügte sich und trat mit Bertafrid und Besa vor das Haus. Ein Pferdeknecht half der ersten Frau beim Absteigen. Zuerst dachte sie, eine Kugel aus Kleidern werde abgeladen, dann erkannte sie, dass auf der Kugel ein Kopf saß und sich mit bösen Blicken umsah.
„Wenn die umfällt, rollt sie weg!“, murmelte Bertafrid. Niemand rügte ihn. Alle starrten sprachlos das Bündel Mensch an, das zielsicher auf sie zusteuerte.
„Fleda, beeil dich. Man erwartet uns!“
Vom Wagen kletterte eine weitere Frau, die schon eher wie eine Dame von Hof aussah. Auf ihrem Kopf leuchteten rote Haare, die sie geflochten und zu merkwürdigen Schnecken über den Ohren aufgedreht hatte. Zwar trug sie einen Schleier, doch war der hinter der Frisur angebracht und verdeckte nicht viel. Sie schien nicht älter zu sein als Radegunde.
Sebila stand vor der Tür wie eine Bärin vor ihrer Höhle. „Willkommen, edle Frau! Ich bin Sebila und führe dieses Haus!“
„Ja, sehr gut, sehr gut. Ich bin Chlotberga, das dort ist meine Tochter Fleda. Wir kommen im Auftrag des Königs, um der Prinzessin …“
„Wir wissen Bescheid!“, unterbrach sie Radegunde und trat einen Schritt vor.
Sebila sah sie strafend an. „Ja, das ist sie nun, … Radegunde.“
Chlotberga nickte zufrieden und Fleda kniff die Augen zusammen.
Am nächsten Tag begann Chlotberga bereits zur Morgenmahlzeit zu nörgeln: „Du nimmst dir deine Honigmilch nicht selbst, Radegunde! Sie wird dir gereicht!“ Empört sah sie sich um: „Gibt es denn hier nicht mehr Mägde?“
„Du sprichst nur mit dem Gesinde, wenn du einen Befehl erteilst! Keine sonstigen Unterhaltungen!“
„Du solltest dich sorgfältiger kleiden! Hast du nur dieses eine Leinengewand?“
„Warum trägst du keinen Stirnreif, Radegunde?“
Das Gezeter steigerte sich ins Unerträgliche, als nachmittags die Waisenkinder kamen.
„Was tust du, Radegunde? Du gibst dich mit diesen Kindern ab? Aber das …“ Chlotberga schnappte nach Luft.
„Das ist ein mildtätiges Werk, edle Chlotberga, und einer Königin durchaus würdig!“, konterte Radegunde, die allmählich die Geduld verlor.
„Aber du musst doch nicht selbst mildtätig sein, Kind! Übertrage diese Aufgabe einer Magd, gib ihr einen Solidus und …“
„Ich bin eine Gefangene Chlothars, ich habe kein Geld!“, fauchte sie.
„Oje, oje! Wie kann das sein? Kein Geld?“ Dieses Problem war für Chlotberga zu kompliziert. Sie drehte ab und verschwand in ihrer Unterkunft.
Am Abend war das Gesinde sich einig, dass schwere Zeiten bevorstanden. Chlotberga mischte sich in alle Angelegenheiten, fand überall etwas auszusetzen. Sie schien zu glauben, sie sei hier, um den ganzen Hof umzukrempeln. Fleda lief ihr hinterher wie ein treuer Hund und sagte kein Wort. Sie wurde auch nie gefragt.
„Kein Wunder, dass sie ausgerechnet diese Kugel geschickt haben“, lästerten die Mägde in der Milchstube. „In Soisson sind sicher alle froh, dass sie die losgeworden sind.“
Als die ersten Herbststürme das Laub von den Bäumen wehten, bat Radegunde den Verwalter um Erlaubnis, auch die anderen Kinder der Knechte und Mägde zu ihrer Spielstunde zu holen. Syagrios war zwar ein mürrischer Mann, aber er hatte ein weiches Herz, und er zögerte nur kurz.
„Also gut, aber nur die Kleineren! Die Großen können schon arbeiten!“, mahnte er.
Besa kam mit einem Dutzend Kinder durchs Tor, sie folgten ihr wie früher die Gänseküken. Es war ein kalter Novembertag und feiner Regen drang durch die Kleider bis auf die Haut. Frierend stürmten die Kleinen auf das Haupthaus zu.
„Radegunde!“
Sie stand lachend in der Tür, drückte die ganz Kleinen an sich und strich den Größeren kurz übers Haar.
„Was spielen wir heute?“, fragten mehrere Kinder gleichzeitig.
„Zunächst lernen wir!“
Eifrig kletterten die älteren Kinder auf die Bänke im Saal. Jedes kannte seinen Platz. Agnes verteilte Kastanien auf den Tischen.
„Wie viele Kastanien hat jeder von euch vor sich liegen?“
Die Kinder griffen nach den Früchten und begannen Zahlworte zu murmeln.
Für die Jüngeren lagen aus Leder genähte Bälle und Holzreifen vor dem Kamin. Um sie kümmerte sich Besa.
„Gunda, zähle deine Kastanien!“ Radegunde blieb bei dem Mädchen stehen.
„Hab ich schon! Es sind vierzehn Stück!“
„Sehr gut, Gunda! Du bist
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