Radegunde von Thueringen
schnell!“
Vor dem Kamin rauften die Zwillinge um einen Ball. Gunda reckte den Hals.
„Wenn sie auch so schlau sind wie du, können wir sie bald mit an die Tische holen. Was meinst du?“, fragte Radegunde.
„Sie müssen immer beschäftigt werden, sonst prügeln sie sich“, seufzte das Mädchen.
Eine Küchenmagd trat in den Saal und sah sich um. Dann schlich sie zu Agnes und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Agnes nickte und die Frau verschwand wieder.
„Radegunde, es gibt Nachricht von deinem Vetter!“, sagte Agnes wie nebenbei, während sie eine Kastanie aufhob, die auf dem Boden gelandet war.
Radegunde fuhr herum. „Was sagst du?“
„Die Küchenmagd, sie steht in Verbindung mit einigen Sklaven aus Thüringen, die auf den Feldern arbeiten. Die wiederum haben auch Kontakte.“ Sie senkte die Stimme noch weiter.
„Jedenfalls hat Giso es geschafft, uns eine Nachricht zu schicken. Sie lautet: Amalaberga und ihre Kinder sind nach Ravenna geflohen.“
„Ravenna! Amalabergas Heimat.“
Besa trat zu ihnen, ohne die Kleinen am Kamin aus den Augen zu lassen.
„Was ist passiert?“
„Amalafrid ist im Ostgotenland! Sie haben das Warnenland verlassen!“ Radegundes Stimme drohte zu kippen.
„Aber dort sind sie sicher! Früher oder später hätten die Franken sie aufgespürt!“ Besa griff nach ihrer Hand.
„Jetzt trennt uns bald die halbe Welt!“ Sie setzte sich zögernd auf eine Bank. Gunda blickte sie neugierig an.
Agnes rief die Kinder zusammen und schlug die Bibel auf.
„Welche Geschichte möchtet ihr hören? Die vom kleinen Jesus im Tempel?“
„Nein, die von den Menschen, die Hunger hatten und den vielen Fischen!“, rief ein pausbäckiger Junge.
Agnes lachte. „Die muss ich doch jedes Mal erzählen!“
Radegunde saß abseits und betrachtete die Szene mit abwesenden Blicken. Sie hörte Agnes mit malerischen Worten den See Genezareth beschreiben und fand sich in Gedanken am Heiligen See wieder, mit Amalafrid im Gras. Sie sah sich in Amalabergas Bibelstunden neben ihm sitzen und lauschen. Sie hörte das Schnauben der Stute, der sie gemeinsam das Zaumzeug angelegt hatten. Sie roch den Rauch der Schmiedefeuer, als er ihr die Fibel an das Gewand gesteckt hatte.
Besa hielt noch immer ihre Hand. „Lass dich jetzt nicht gehen! Niemand darf wissen, dass du von der Flucht gehört hast. Wir müssen froh sein, dass es diese Verbindungen unter den Sklaven gibt. Wir dürfen sie nicht …“
„Das weiß ich doch! Und trotzdem! Wie soll er jemals bis hierher kommen?“
„Das war auch vorher schon sehr unwahrscheinlich!“ Besa hielt ihre Meinung nicht mehr zurück. „Du musst aufhören zu träumen! Wie kann er uns holen, ohne ein großes Heer, ohne Pferde, ohne Waffen?“
„Aber er weiß, wo der Schatz ist! Er könnte …“
„… sich ein Heer kaufen? Da hast du wohl Recht, aber nicht in Thüringen.“
„Du meinst, er ist ins Gotenland gegangen, um ein Söldnerheer anzuwerben?“ Ihre Miene hellte sich auf.
Besa verdrehte die Augen. „Freya, hilf! Wirst du niemals aufwachen? Vergiss Amalafrid, er wird dir nicht helfen!“
Zwei Mägde schleppten einen großen Topf Hirsebrei herein. Die Kinder wurden unruhig und reckten die Hälse.
Radegunde stand auf und verteilte mechanisch Schüsseln und Holzlöffel auf den Tischen, wo noch die Kastanien lagen. „Wenn ich ihn je vergesse, Besa, dann bin ich tot!“
2. Buch: Die Königin
Aus Königssamen bist du aufgegangen,
o Radegunde, und der Erde Prangen
flicht sich dir um dein adelhohes Haupt.
Doch andrer Herrschaft Ziel hast du in Händen,
feil ist die Erde dir, du willst vollenden
die Heiligkeit in Gott, die du geglaubt.
(Venantius Fortunatus: Der Herrin Radegunde)
Athies, Sommer 538
„Bertafrid, wo bist du gewesen? Ich habe mir Sorgen gemacht!“ Erleichtert lief Radegunde zum Stall, wo ihr Bruder gerade sein Pferd absattelte.
„Wann wirst du aufhören, mich wie ein kleines Kind zu behandeln?“
„Aber du kannst nicht einfach wegreiten, ohne mir Bescheid zu sagen!“
„Warum nicht? Ich bin keines von deinen Waisenkindern!“
„Bertafrid! Was soll das?“ Sie war ratlos seiner Feindseligkeit gegenüber.
„Ja, ja, schon gut. Ich war draußen bei den Feldarbeitern.“ Er zog das Pferd in den Stall.
„Du hast mir versprochen, vorsichtig zu sein! Wenn Sigimer erfährt, dass du dich mit den Thüringer Sklaven abgibst, wird er denken, du gehörst zu ihrem geheimen Bund! Längst hat er Verdacht geschöpft!“
„Ich bin vorsichtig!
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