Radegunde von Thueringen
Der Sohn vom Hauptmann, Sigibald! Er kann Bertafrid holen.“
Agnes wiegte sorgenvoll den Kopf. „Bertafrid ist nicht da. Er ist – “, sie schwieg und sah Radegunde gequält an. „Er ist unterwegs, und es wäre wirklich besser gewesen, wenn du nichts davon erfahren hättest. Er wollte die Zeit nutzen, in der Gorrik nicht auf dem Hof ist, weil der ihm ständig nachschnüffelt.“
„Er ist weg? Aber er ist ein Gefangener!“ Radegunde war verblüfft.
„Seit deiner Hochzeit mit Chlothar wird er nicht mehr sehr streng bewacht.“
„Wohin ist er geritten?“ Ein schmerzhaftes Ziehen stieg ihr in die Kehle. „Ist er – nach Hause gegangen?“
„Nein! Das ist viel zu riskant!“ Agnes schüttelte den Kopf. „Er will, dass du nichts davon weißt, damit du Chlothar nicht unnötig belügen musst.“
„Wenn wir davon ausgehen, dass Chlothar nichts von seinem Ausflug erfährt, muss ich ihn auch nicht belügen. Also?“ Sie klang unerbittlich.
Agnes seufzte. „Erinnerst du dich an Chlothars Neffen Chlodowald, den jüngsten Sohn Clodomers?“
„Der Junge, den deine Mutter vor Chlothar rettete, indem sie ihn in ein Kloster schickte?“
„Genau. Er ist inzwischen erwachsen, und Bertafrid will Kontakt zu ihm aufnehmen.“
„Freya, steh uns bei!“, stöhnte Radegunde. „Das ist Wahnsinn! Wenn Chlothar davon erfährt, bringt er sie beide um!“
Agnes schwieg. Offensichtlich war sie zum selben Schluss gekommen.
Radegunde versuchte, sich zu konzentrieren. „Wann wird er zurück sein?“
Agnes hob die Schultern. „Das Kloster liegt in Paris und bis dahin sind es zwei Tagesritte.“
Radegunde rieb sich die Schläfen. „Die Gefangenen sahen nicht sehr gut aus. Wenn wir länger warten, sind sie nicht mehr in der Lage, zu fliehen. Wenn Chlothar heute Abend seinen Krug geleert hat, schläft er sicher tief und fest. Die einzige Möglichkeit für uns.“
„Du willst sie befreien? Aber wie stellst du dir das vor?“ Die Sorge ließ Agnes’ Stimme beben.
„Uns wird schon etwas einfallen.“ Sie versuchte, zuversichtlich zu klingen.
Chlothar hatte sich beim Morgenmahl in der Halle von Athies gerade eine Schüssel mit Hirsebrei füllen lassen, als einer seiner Wachleute an ihn herantrat und ihm etwas ins Ohr raunte. Er verstand ihn zunächst nicht und der Mann musste seine Botschaft wiederholen. Chlothar ließ den Löffel fallen und sprang auf. Der heiße Brei kleckerte über den Tisch.
„Was sagst du?“ Er brüllte es und der Mann kroch in sich zusammen.
„Es tut mir leid, Herr.“
Chlothar stürmte hinaus und der Soldat folgte ihm eilig.
Radegunde tauschte einen verstohlenen Blick mit Agnes und fragte dann beiläufig in Syagrios’ Richtung: „Was mag da passiert sein?“
„Ich weiß es nicht, Herrin. Aber Hauptmann Sigimer ist noch nicht an der Tafel, vielleicht ein Problem bei den Wachsoldaten?“ Er blickte besorgt zur Tür.
Bald darauf betrat ein Soldat den Saal, und die Neuigkeit, die er mitbrachte, verbreitete sich pfeilschnell an der Tafel. „Die Gefangenen sind geflohen!“
Radegunde krauste die Stirn. „Gefangene?“
Syagrios wand sich wie ein ausgegrabener Regenwurm. „Euer Gemahl, Herrin, also Chlothar … er hatte dem Hauptmann befohlen, sozusagen vorübergehend …“
„Könntest du etwas deutlicher werden? Gab es auf meinem Hof Gefangene?“
Der Verwalter nickte. Auf seiner Stirn bildeten sich Schweißtropfen.
„Wer wurde hier gefangen gehalten?“
„Herrin, ich kann Euch wirklich nicht …“
„Antworte!“ Ihre Stimme klang scharf und inzwischen waren alle anderen Gespräche im Saal verstummt. Neugierig lauschte das Gesinde dem Disput.
„Ist das nicht völlig gleichgültig, Herrin?“ Gorricks ölige Stimme schaltete sich von der anderen Seite der Tafel her ein. „Es werden sicher irgendwelche Kriminelle gewesen sein, vielleicht Räuber oder Bauern, die ihre Abgaben nicht leisten wollten.“
Jetzt wurde sie wirklich wütend. Dieser widerliche Verräter hatte ihr gerade noch gefehlt.
„Dies ist mein Hof! Hier geschieht nur, was ich will! Und wenn es hier Gefangene gibt, dann möchte ich wissen, wer es ist und was man ihnen vorwirft!“
Agnes trat ihr unter dem Tisch vorsichtig gegen das Schienbein. Ihre Blicke mahnten: „Bleib ruhig! Lass dich nicht provozieren!“
Gorrik verbeugte sich tief, doch das spöttische Lächeln in seinem Gesicht hatte sie noch gesehen.
„Syagrios, wer waren die Gefangenen?“
„Sie waren Abgesandte des Burgunderkönigs!“ Der
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