Radegunde von Thueringen
Ahorn drüben vor der Kapelle schimmern gelbe Blätter!“
Sie lehnte sich weit aus dem Fenster und atmete tief ein. Die Luft war tatsächlich kühl und roch leicht modrig. „Es riecht nach Pilzen, wir sollten mit Korb und Messer in den Wald ziehen!“
„Das wird Chlothar nicht gefallen!“
„Na und? Ich gehe doch nicht allein! Du kommst mit!“
Besa seufzte wehmütig. „Für meine alten Beine ist der Wald allmählich zu weit entfernt.“
„Dann frage ich Agnes. Du könntest in der Zeit auf ihren Sohn Acht geben, der Kleine würde uns beim Suchen nur behindern.“
Besa stöhnte auf. „Freya, bewahre mich vor dem kleinen Agnefrid! Er ist mir viel zu anstrengend.“
„Ja, ein richtiger Wildfang, nicht wahr? Bertafrid war auch so als Kind. Ich erinnere mich an einen …“ Ihr Blick fiel auf einen pelzigen grauen Klumpen vor dem Fenster.
„Hier liegt doch tatsächlich eine tote Ratte! Pfui! Wie kommt die hierher? Treiben die sich sonst nicht nur bei den Lagerhäusern herum?“
Besa rückte den Hocker erneut ans Fenster und erklomm ihn schnaufend. Besorgt betrachtete sie das tote Tier. Der aufgequollene Körper lag seltsam verdreht, und an der Schnauze klebte geronnenes Blut.
„Das gefällt mir ganz und gar nicht!“
„Wem gefällt schon eine tote Ratte?“, kicherte Radegunde.
Besa achtete nicht darauf und griff nach ihrem leichten Umhang. „Wir müssen es Baudin melden!“
„Du willst dem Haushofmeister eine tote Ratte unter dem Fenster melden? Er wird dich mit einem Tritt vor die Tür befördern!“ Diesmal lachte sie lauthals.
Besas Gesicht blieb ernst. „Die Knechte erzählten gestern Mittag von Dutzenden toten Ratten bei den Lagerhäusern. Die Mägde fanden tote Ratten beim Melken. Und in der Getreidemühle lag am Abend eine verreckte Katze.“ Sie schwieg einen Moment und starrte vor sich hin. „Ich habe so etwas schon einmal erlebt, es ist sehr lange her, aber ich weiß es noch, als wäre es heute gewesen …“
Radegunde fühlte eine Gänsehaut auf ihren Armen. „Was meinst du, Besa?“
„Zuerst sterben die Ratten und dann die Menschen. Es ist der schwarze Tod!“ Damit war sie zur Tür hinaus.
Obwohl der Haushofmeister strenge Anweisungen gab, alle toten Tiere zu verbrennen, erkrankte nach einer Woche die erste Magd. Sie klagte über Kopf- und Gliederschmerzen und lag bald mit hohem Fieber danieder. Am Hals und in den Achselhöhlen der jungen Frau bildeten sich schmerzhafte blauschwarze Beulen.
Radegunde wies an, die Frau in eine leerstehende Hütte zu bringen.
„Besa, was können wir tun?“ Händeringend stand sie am Lager der wimmernden Magd.
„Nichts. Manche Heiler schnitten damals die Beulen auf, damit das faulende Blut ablaufen kann. Aber ich glaube nicht, dass die Leute danach weniger oft starben. Wir können nur abwarten.“
„Aber das kann doch nicht sein! Wir müssen irgendwie helfen!“
„Wir können ihr Leiden lindern, indem wir ihr Wasser reichen und das Fieber senken, ich fürchte, das ist alles.“
„Ich werde die alte Kräuterfrau holen lassen. Sie wird Rat wissen. Hoffentlich erkranken nicht noch mehr!“
Besa streifte sie mit einem Blick, der ihr alle Illusionen raubte.
Am nächsten Tag fieberten in der Hütte bereits vier Kranke. Eine Gänsemagd, deren Mann und der halbwüchsige Sohn des Haushofmeisters wälzten sich stöhnend auf den Strohlagern. Radegunde wusch die Jammernden mit kalten Lappen und flößte ihnen einen Sud aus Fenchel und Basilikum, vermischt mit Holundersaft ein. Die kräuterkundige Frau hatte ihr gesagt, das werde das Fieber mindern. Es sei das Einzige, was getan werden könne.
Gegen Mittag kam Baudin, um nach seinem Sohn zu sehen. Das Gesicht des Mannes war grau vor Sorge. Doch die galt nicht nur dem Jungen. „Herrin, Ihr solltet den Hof verlassen. Geht nach Athies, dort ist diese furchtbare Krankheit gewiss noch nicht angekommen. Dort seid Ihr sicher.“
Empört richtete sie sich auf: „Du glaubst, ich lasse die Kranken hier zurück und schleiche mich davon? Ich werde hier gebraucht, Baudin, das siehst du doch!“
„Wenn der König von der Synode zurückkommt, wird er mir zürnen, dass ich Euch dieser Gefahr ausgesetzt habe!“
„Mach dir keine Gedanken, der König kennt mich gut genug. Er weiß, dass ich mich nicht wegschicken lasse.“
Seufzend verließ Baudin die Hütte.
Am Abend begann die Milchmagd zu husten und schwerer zu atmen. Ihre Lippen färbten sich blau und sie spuckte schwarzes Blut. Sie verlor immer
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