Radieschen von unten
keine Gummibärchen dazu?«, fragte Elfie und lächelte schelmisch.
Bornekamp schüttelte den Kopf und sah Elfie ernst an. »Ich will versuchen, mich gesünder zu ernähren. Julianes plötzlicher Tod hat mich tief getroffen. Sie war zehn Jahre jünger als ich, und dann stirbt sie von heute auf morgen an einem Schlaganfall. Das ist unfassbar.«
Elfie legte ihm begütigend eine Hand auf den Arm. »Mit Frau Knörringer dürfen Sie sich nicht vergleichen. Die war doch selbst schuld.«
Bornekamp sah sie verständnislos an. »Wie meinen Sie das?«
Elfie blickte erschrocken auf. Sie musste ihre Zunge besser im Zaum halten.
Schnell sagte sie: »Sie hätte ihre Medikamente regelmäßig nehmen müssen und nicht so viel Alkohol trinken dürfen. Und wenn sie nicht ständig auf ihren Angestellten herumgehackt hätte, wäre sie ohne diese Aufregung vielleicht noch am Leben.«
»Sie war keine einfache Chefin.« Bornekamp nickte nachdenklich. »Aber ich habe ihr Verhalten immer damit entschuldigt, dass sie es nicht leicht hatte im Leben.«
»Andere haben es auch nicht leicht und behandeln ihre Mitmenschen trotzdem freundlich«, warf Elfie ein.
»Juliane hat früher nur für das Tanzen gelebt«, fuhr Bornekamp fort. »Oft hat sie in der Eingangshalle ihre Ballettübungen absolviert.«
»Zwischen den Särgen?«, fragte Elfie.
»Ja, das war für sie ganz normal. Sie ist ja hier im Haus aufgewachsen und war von klein auf mit allen Formen der Bestattung vertraut. Und oben in der kleinen Wohnung ist nicht genug Platz zum Tanzen.«
»Wenn ihr das Tanzen so wichtig war, warum ist sie dann Bestatterin geworden?«, hakte Elfie nach.
»Ihr Vater hat Ballett als brotlose Kunst bezeichnet und sie zu einer kaufmännischen Lehre gezwungen. Tanzen durfte sie nur in ihrer Freizeit. Und dann hat sie sich in diesen feurigen Argentinier verliebt, Carlos de Silva, und wurde prompt schwanger. Mit achtzehn Jahren.«
»Was ist aus dem Mann geworden?« Elfie beugte sich neugierig vor.
»Der ist noch vor der Geburt seines Sohnes bei Nacht und Nebel abgehauen, zusammen mit Julianes Erspartem. Das hatte sie ihm gegeben, weil er hier angeblich eine Import-Export-Firma aufbauen wollte.«
Elfie schüttelte missbilligend den Kopf. »So ein Schuft!«
»Allein mit Kind, musste Juliane zähneknirschend ihren Traum vom Tanzen aufgeben und ins Familienunternehmen einsteigen. Ich glaube, die Angst, nicht für sich und ihren Sohn sorgen zu können, saß bei ihr so tief, dass sie bis heute immer noch mehr Geld verdienen wollte.«
Bornekamp erhob sich. »Jetzt ist es aber Zeit für mich. Vielen Dank für den Kaffee.« Er nahm seine Trauerrede und verschwand.
Elfie sinnierte noch eine Weile über Bornekamps Erzählung nach. Doch sie konnte in Juliane Knörringers Biografie keine ausreichende Entschuldigung für ihre Geldgier und ihre Rücksichtslosigkeit entdecken.
Entschlossen stand sie auf und öffnete den Karton. Natürlich wieder ein einziges Durcheinander. Obenauf lagen Sarggriffe, Beschläge und ein Kreuz, alles in Knallrot. Daneben entdeckte sie eine lederne Halskette mit einem Anhänger in Urnenform. Interessiert nahm sie das Schmuckstück in die Hand. Die Urne glänzte golden und erinnerte ein bisschenan Aladins Wunderlampe. Was für eine hübsche Idee, die Asche eines geliebten Menschen immer bei sich zu tragen.
Doch dann stutzte Elfie. Die Urne war ja viel zu klein für die Asche eines ganzen Menschen. Sie bot höchstens Platz für ein einziges, aber nicht allzu großes Körperteil, vielleicht eine Hand, einen Fuß oder einen …
Sofort schämte sich Elfie für ihre pietätlosen Gedanken und legte das Schmuckstück schnell zur Seite. Nach und nach holte sie die restlichen Sachen aus dem Karton. Neben weiteren Sargbeschlägen in allen möglichen Farben und Formen fischte sie eine ganze Reihe von Lieferantenrechnungen heraus, die sie für jede Firma getrennt akkurat stapelte.
Eine halbe Stunde später hatte sie alles mit den dazugehörigen Rechnungen von Pietas verglichen. Das Ergebnis fiel noch schlimmer aus, als sie erwartet hatte. Bei der Weiterberechnung von Drucksachen, Blumenschmuck und Gebühren hatte Juliane Knörringer bis zu 100 Prozent aufgeschlagen. Was für eine Unverschämtheit!
Elfie nahm die Lieferantenrechnungen und steckte ein Blatt nach dem anderen in den Schredder. Die Beweise für Julianes Geschäftsgebaren sollten niemandem in die Hände fallen, da sie Carlos schaden könnten.
Dem Finanzamt würde sie melden, dass die
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