Radikal führen
auf das Mitsein-mit-anderen zwingend angewiesen. In gewissem Sinne lösen sich damit die Gegensätze zwischen Führen und Geführt-Werden auf. Im praktischen Leben ist es deshalb hilfreich, von wechselseitiger Abhängigkeit zu sprechen.
Nun ist Anerkennung ein nie abschließbarer, nie vollständiger Prozess. Um Anerkennung muss man täglich werben. Führung ist mithin ein Geschehen, das sich täglich ereignet und immer nur eine mögliche Beziehung zwischen Menschen beschreibt. Sie könnte auf die Anerkennung von unten natürlich verzichten – und es gibt ja auch nicht wenige Führungskräfte, die ihren Job lediglich deshalb behalten, weil sie von oben geschützt werden. Aber Sie werden als Führungskraft lächerlich, wenn Ihnen diese Anerkennung versagt wird. Wenn Sie glauben, Sie könnten führen, ohne dass Ihnen die Leute folgen.
Fassen wir zusammen. Es ist ein Paradox: Führung ist nicht direkt beobachtbar. Und doch machen Beobachter die Führung zur Führung. Indem sie sie anerkennen.
Was prägt das Führungsverhalten?
Dass Führung nur erkannt werden kann, wenn sie beobachtet wird, verweist schon darauf, dass zu kurz springt, wer sie aus sich selbst heraus erklären will. So wie Führung für ihre Anerkennung den Anderen braucht, wird sie auch in der Praxis nicht allein durch die individuelle Führungskraft geprägt, sondern auch durch das System, innerhalb dessen sie agiert – durch Institutionen.
Führung ist mehr als Führungskraft
Die ersten Führungskonzepte der Managementlehre verbanden Führungserfolg eng mit Eigenschaften des Individuums. Bringt man es auf einen einfachen Nenner, dann galten charismatische Personen als natürliche Führer – männlich, versteht sich. Das Problem dieser Konzeptionen war, dass man hier kaum Gestaltungsspielraum hatte. Führung war »angeboren«. Man konnte es – oder man konnte es nicht.
Die nächste Theoriegeneration glaubte weniger an das »Angeborene«, vielmehr (im Zuge des Bildungsoptimismus der 60er Jahre) an die »Gestaltbarkeit«. Führung wurde nun als lernbar beschrieben. Man entwarf ein idealtypisches Führungsverhalten – gleichsam als Handwerk mit den entsprechenden Werkzeugkästen und für jedermann zugänglich, der nur lernen wollte. Man baute Video-Kameras auf, übte das »Mitarbeitergespräch« oder die »konstruktive Kritik« und polierte seine Instrumente: präsentieren, Sitzungen leiten, Arbeitsprozesse strukturieren.
Nun ist Führung sicher auch Handwerk. Aber schon das Führen eines Mitarbeitergesprächs, das den Ehrentitel des »Gesprächs« verdient, geht über das Handwerkliche hinaus. Man verstand daher Führung mit Blick auf Mitarbeiter zunehmend als Beziehungspflege: Das Menschliche wurde wichtiger als das Technische. Zudem wurde mehr und mehr anerkannt, dass Menschen unterschiedlich sind, dass Begriffe wie »Personal« oder gar »Belegschaft« diese Varianz nur ungenügend abbilden. Kurz: Nicht alle waren über einen Kamm zu scheren.
Aus dieser Erkenntnis entwickelte sich die Forderung des »situativen Führens«. Gemeint war damit die Fähigkeit der Führungskraft, das eigene Verhalten dem »Reifegrad« des konkreten Mitarbeiters anzupassen. Das war ein ambitionierter (wenn man kritisch sein will: überheblicher) Vorschlag, aber er war mit Blick auf die Mitarbeiter ungleich optimistischer als das Great-man-Denken der Vorgängergeneration. Im Kern aber war auch das »situative Führen« wenig mehr als das Vermeiden extremer Entmündigungsspitzen.
Das Problem all dieser Konzepte ist, dass Führung personalisiert wird – als einseitige, von einer Person ausgehende Einflussnahme. Führung ist danach Eigenschaft und Verhalten einer Person, eben der Führungskraft. Das heißt: Was sich als Effekt von Führung zeigt, wird einem Individuum zugerechnet. Die Führungskraft wird gedacht als aktiv-gebend-treibend, der Mitarbeiter als passiv-empfangend-angetrieben. In der Praxis hat sich dieses personenzentrische Konzept im Wesentlichen bis heute gehalten: Wer von Führung spricht, spricht im Regelfall von Führungskräften, von Menschen. Diese Individuen machen dann ihre Sache entweder gut oder schlecht.
Übergangen wird dabei zweierlei. Einerseits die Wechselwirksamkeit zwischen den Menschen. Das Verhalten eines Menschen ist ja nicht immer gleich, sondern wird von anderen Menschen in bestimmten Situationen beeinflusst. Die Interaktionen sind zirkulär, das heißt, man beeinflusst sich wechselseitig. Das bemerken Sie an sich selbst:
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