Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Radikal führen

Radikal führen

Titel: Radikal führen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard K. Sprenger
Vom Netzwerk:
vornimmt und wie sehr sie sich Mühe gibt: Die Prozesse bestimmen die Resultate. Wenn zum Beispiel Fehler vom System rigoros bestraft werden, dann werden die Bemühungen einer einzelnen Führungskraft um Kreativität und Innovation fruchtlos bleiben. Weil »Führung« (im Sinne der Institution) etwas anderes will – nämlich Fehlerfreiheit.
    Wir sollten mithin nicht nur auf die individuelle Führungskraft schauen, sondern auch auf die historisch gewordenenund insofern vorgefundenen Rahmenbedingungen. Eine Führungskraft ist nicht nur das Produkt ihres Talents und Strebens, sondern immer auch das Produkt des institutionalisierten Betriebs, zu dem bestimmte Organisationsformen gehören, Instrumente, hierarchisierte Abläufe, Technologien. Mit Pierre Bourdieu kann man Führungskräfte als Akteure in einem sozialen Feld verstehen, dessen Spielregeln erkannt und anerkannt sein wollen, wenn man sich darauf erfolgreich bewegen will.
Gute Leute? Oder passende Leute?
    Nehmen wir die klassischen Vergleiche, nach denen das Verhältnis zwischen Führungskraft und Mitarbeitern sei wie jenes zwischen Trainer und Mannschaft oder Dirigent und Orchester. Dann passt nun mal nicht jeder Dirigent zu jedem Orchester, und ebenso passt nicht jeder Trainer zu jeder Mannschaft. Ab einer gewissen Leistungsklasse gibt es keine absolut schlechten Führungskräfte. Aber niemand ist gut für alles. Es kommt auf die Passung an, auf die Konstellation. Und es gibt niemanden, der immer und überall passt. Aus dieser Perspektive ist Erfolg dann Ergebnis der Passung der Organisationsstruktur mit dem Individuum oder den Markterfordernissen; Misserfolg ist das Ergebnis »unpassender« Strukturen. Der institutionelle Rahmen gibt vor, ob jemand passt, zur Geltung kommt, wirksam wird. Das kann man gut an dem russischen Politiker Michail Gorbatschow illustrieren: Dessen Wirkung war sicher auch seiner Persönlichkeit zu danken; aber erst die historische Situation gab ihm die Chance, der zu werden, der er ist.
    Für unseren Zusammenhang heißt das: Ein einzelner Mensch – und sei er noch so exzellent – reicht nicht aus, um das System zu verändern. Das System muss es auch wollen.
    Die systemische Sichtweise fragt also nicht »Was macht eine erfolgreiche Führungskraft aus?«, sondern »Was ist erfolgreiche Führung?« Wenn sie von Führung spricht, dann meint sie vor allem die Strukturen, Instrumente und Organisationsentscheidungen. Eine Krise ist dann nicht vorrangig das Versagen Einzelner, ihrer Fehlkalkulation oder ihrer Habgier, sondern das Resultat des normalen Funktionierens der Strukturen.
    Der Führungsentwurf, der dadurch entsteht, ist im besten Sinne ein Management ohne Helden, eine nicht-heroische, anti-titanische Art des Führens. Nicht er oder sie führt – »es« führt! Das ist der Kältepol des Führungsdenkens. An diesem Pol regt man sich nicht auf, es wird keine Leidenschaft gefordert. Diesem Entwurf eignet vielmehr eine gelassene Nüchternheit, den der idealistische Überschuss des personenzentrischen Denkens kalt lässt. Bekanntlich wächst der Idealismus mit der Entfernung vom Alltag.
    Die Bedeutung des persönlichen Führungsstils wird in dieser Sicht überschätzt. Obwohl diese Sprach- und Denkfigur seit Jahrzehnten den Diskurs bestimmt, ist bis heute kaum erkenntlich, wie man einen Führungsstil einfach wählen kann – so wie man einen Schraubendreher wählt. Ich bin sehr skeptisch, ob man sich einen »autoritären«, »kooperativen« oder »transaktionalen« Stil aussuchen und ihn unabhängig von den organisatorischen Vorgaben des Unternehmens in Hunderten von alltäglichen Aktivitäten durchhalten kann. Damit will ich nicht sagen, dass persönlicher Stil irrelevant sei. Aber es geht dann mehr um die Art und Weise, wie eine Führungskraft etwas tut – etwa ein Mitarbeitergespräch führt, Entscheidungen fällt, sich selbst und ihre Arbeit organisiert. Weite Teile ihres Führungshandelns sind von der Organisation vorgegeben – wenn auch nicht alle. Erfolgreich ist wohl eher ein Manager, dessen Sosein ins Umfeld passt – zur Aufgabe, zu den Mitarbeitern, zum Chef, zur Unternehmenskultur. Vor allem aber zum Markt und den Kunden.
    Fassen wir das zusammen, dann gilt: Alles Führen ist grundlegend charakterisiert durch die Polarität zwischen subjektiven Fähigkeiten und objektiven Möglichkeiten. Man kann auch sagen: zwischen Führungskraft-Sein und Führung-Haben. Führung findet also statt sowohl aktiv durch Menschen als

Weitere Kostenlose Bücher