Radikal führen
auch passiv durch Strukturen (die wiederum aktiv von Menschen gestaltet wurden und werden). Damit ist Führung alles, was als Führung anerkannt ist. Führung ist die Gesamtheit der Führungs-Kommunikationen, nicht nur der Menschen.
Wenn aber Individuum und System in den Konflikt kommen und aufeinanderprallen, siegt im Regelfall das System. Sollte es mal anders sein, nennt man diese Individuen »Helden«. Oder, im tragischen Fall, »Märtyrer«.
Arbeit im System und Arbeit am System
Bringen wir die vorstehenden, eher theoretischen Überlegungen gleichsam »auf die Erde« und schauen uns die praktischen Konsequenzen an. Der personenzentrische Ansatz glaubt, man könne intrapsychische Vorgänge eines Mitarbeiters erkennen und entsprechend beeinflussen. Das systemische Denken hält das für naiv und lehnt eine solche Analyse ab. Im personenzentrischen Denken diskutiert man gerne die inneren Einstellungen der Mitarbeiter; man unterscheidet Menschen, für die das Glas halb voll ist oder halb leer. Im systemischen Denken sagt man: »Das Glas ist doppelt so groß, als es eigentlich sein müsste.« Also passt man die Glasgröße an. Die Frage »Was macht gute Führung aus?« beantwortet der personenzentrische Ansatz mit einer ganzen Palette von Persönlichkeits-Eigenschaften: visionär, entscheidungsstark, sozial kompetent und so weiter. Der systemische Ansatz antwortet: »Gute Führung ist, wenn der CEO sagt: Gute Führung!« Wenn wir fragen »Was wollen Manager?«, dann würde das personenzentrische Denken sagen: »Unternehmen erfolgreich machen, Ziele erreichen, Visionen umsetzen!«; das systemische würde antworten: »Manager wollen Manager bleiben!« Im Fußball wäre Real Madrid ein gutes Beispiel für den personenzentrischen Ansatz: Man holt sich die besten (oder nur die teuersten) Leute weltweit und stellt sie zu einer Mannschaft zusammen. Für den systemischen Ansatz stünde der FC Barcelona: Man hat eine Spielidee und sucht dafür die richtigen Leute.
Bleiben wir noch einen Augenblick beim Mannschaftssport, dann kann er noch in einem erweiterten Sinn als Beispiel dienen. Im personenzentrischen Denken hat man zum Beispiel ein Abwehrproblem, das man mit frischen Verteidigern lösen will. Man »personalisiert« also das Problem. Im modernen Mannschaftssport spricht man hingegen nicht mehr von einem Abwehrproblem, sondern von der »Organisation der Defensive«. Was auf den ersten Blick nur einen sprachlichen Unterschied macht, ist taktisch von erheblicher Konsequenz. Die Defensivarbeit beginnt vorn bei der Spitze, beim Stürmer, und verdichtet sich dann zurück bis hinein in den eigenen Strafraum. Es geht also um das Defensivverhalten der ganzen Mannschaft. Damit sind alle Spieler an der Defensivarbeit beteiligt, wie eben auch alle für die Offensive verantwortlich sind. Auf das Unternehmen übertragen: Muss nicht auch jeder im Unternehmen ein Verkäufer sein?
Die Arbeit im System, die von der personenzentrischen Führung traditionell bevorzugt wird, ist eine direkte Führung. Sie optimiert Vorhandenes, vorrangig Menschen, aber auch Instrumente. Systemperfektionierung ist ihr Ziel. Die Arbeit am System, die für viele Führungskräfte noch ungewohnt ist, ist eine indirekte Führung. Sie bevorzugt das Setzen von Rahmenbedingungen. Sie huldigt nicht dem Laisser-faire, aber verzichtet darauf, direkt und ständig in die Handlungen der Menschen einzugreifen. Sie akzeptiert Unterschiede, auch eine stärkere Volatilität, die sich vielleicht etwas glätten lässt, aber nicht zu verhindern ist. Sie weiß vor allem um die unbeabsichtigten Nebenwirkungen, die die Interventionen nach sich ziehen können. Der direkte Eingriff – die bevorzugte Geste des personenzentrischen Denkens – erfolgt nur im Notfall.
Sowohl bei der direkten als auch bei der indirekten Führung geht es um Verhaltensbeeinflussung der Mitarbeiter. Die Vertreter der direkten Führung sehen im Führen vor allem Beziehungsmanagement. Die Vertreter der indirekten Führung sehen die Aufgabe der Führung vielmehr darin, für optimale Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter zu sorgen.
Der Manager: Held oder Opfer?
Eine sehr deutsche Reaktion auf diese Spannung ist das Denken im Entweder-oder-Modus. Entweder ist das eine richtig oder das andere, Schwarz oder Weiß, alles oder nichts. Geht man ins Extreme, dann verleitet das individualisierende Denken zu einer naiven Heroisierung des Einzelnen (»Alle mir nach!«, »Alles ist möglich, ihr müsst nur wollen!«).
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