Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Radikal

Radikal

Titel: Radikal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yassin Musharbash
Vom Netzwerk:
Somalia oder was weiß ich wohin gegangen sind«, sagte Sumaya. »Seitdem das passiert, warnen die Behörden: Zum Islam konvertierte Deutsche planen Terroranschläge! Man muss ein Auge auf dieses neue Phänomen haben! Und auch wenn sie natürlich betonen, dass sie natürlich nicht alle Konvertiten meinen: Es klingt gerade deshalb genau so. Besser wäre es, diese Art von Konvertiten überhaupt nicht zu thematisieren. Es sind Verrückte. Da nennt sich also einer Abdul Azeem und zieht in den Dschihad. Und ein anderer nennt sich dafür vielleicht Arnold II . und ballert seine Mitschüler und Lehrer über den Haufen. Es ist doch offensichtlich, dass diese Leute ein Problem haben. Aber das sagt doch nichts über Saarländer oder Schwaben aus, oder über Deutsche, oder Muslime oder Konvertiten.«
    »Man sollte also so tun, als gebe es das Problem nicht?«
    »Sie sind kein Problem«, erwiderte Sumaya. »Konvertiten sind kein Problem. Es gibt ein paar Tausend davon im Jahr, ein paar Irre sind immer darunter. «
    Sumaya machte eine kleine Pause. Sie versuchte erfolglos, in Lutfi Latifs Gesicht zu lesen. Sie ahnte, dass sie noch nicht am Ziel war. Vielleicht war sie sogar auf dem falschen Weg, aber das war ihr diesem Moment egal. Jetzt ging es um die Sache. »Schon die geringen Fallzahlen«, ergänzte sie deshalb bestimmt, »gestatten eine Problematisierung dieses Phänomens nicht!«
    »Etwas soziologisch formuliert, aber eine nachvollziehbare Position«, antwortete Lutfi Latif. »Allerdings«, hob der Abgeordnete erneut an, »muss ich, da Sie die Parallele gezogen haben, dann auch fragen, ob Sie denken, dass die gegenwärtige Praxis der Vergabe von Waffenbesitzkarten dann auch kein Problem ist – schließlich waren zwar viele Amokläufer in Schützenvereinen organisiert, aber in absoluten Zahlen waren es ja auch nur sehr wenige.«
    Das war schwieriger als sie erwartet hatte. Aber irgendwie machte das Gespräch Sumaya auch Spaß. »Dieser Vergleich ist nicht zulässig«, entgegnete sie nach kurzem Nachdenken. »Gedanken kann und soll man nicht kontrollieren, Waffen sehr wohl. Religionsfreiheit hat Verfassungsrang, das Recht eine Waffe zu besitzen, nicht. Woran ich glaube , ist eine Sache zwischen mir und Gott. Aber ob ich eine Pumpgun im Schrank haben darf, ist eine Angelegenheit zwischen mir und dem Staat. Das sind zwei völlig verschiedene Sphären!«
    Lutfi Latif nickte kaum merklich. Dann lehnte er sich wieder zurück. »Das ist erst recht eine nachvollziehbare Position. Ich muss mich für meine kleine Provokation entschuldigen. Sehen Sie, es ging mir nicht darum, Sie zu verunsichern. Ich glaube nur, dass es extrem wichtig ist, in diesem Politikfeld präzise zu sein. Seine Argumente durchdacht zu haben, bevor man sie äußert.«
    Nun war es Sumaya, die nickte.
    »Sie ahnen es wahrscheinlich«, fuhr der Abgeordnete fort, »aber ich sage es trotzdem, damit es später keine Missverständnisse gibt: Ich werde mich nicht nur um Themen der muslimischen Community kümmern können, nicht einmal um Migrantenthemen allgemein. Ich werde auch völlig andere Dinge bearbeiten: Pflegeversicherung, Datenschutz, Wirtschaftskrise, Haushaltsfragen und so weiter. Ich weiß nicht einmal, ob ich in die entscheidenden Ausschüsse komme, den Innenausschuss zum Beispiel. Aber Sie haben recht, wenn Sie davon ausgehen, dass mein Herzblut vor allem diesen Themen gilt. Wenn Sie für mich arbeiten wollen, müssten Sie viel recherchieren, Reden und Interviews vorbereiten, Kontakte und Gespräche organisieren. Aber auch profane Dinge erledigen, Telefonate beantworten, Terminkalender führen, Reisen planen, solche Dinge. Es ist nicht immer anspruchsvoll, auch nicht immer aufregend, vermute ich.«
    »Das habe mir gedacht und mir vorher klargemacht«, antwortete Sumaya – froh, dass sie mit wenigstens einem Gedankengang, den sie vorhergesehen hatte, zum Zug kam.
    »Gut«, sagte Lutfi Latif. »Sehr gut.«
    Dann begann der Abgeordnete wieder zu lächeln. »Ihre Verurteilung interessiert mich übrigens nicht«, versicherte er. »Ich finde den Grund ebenfalls … nachvollziehbar.«
    Nachvollziehbar , dachte Sumaya, das kann man wohl sagen . Zumindest damals, in dem Moment, in der Situation: Es war ein paar Wochen nach dem 11. September gewesen, die Anschläge und die Folgen waren noch überall Thema. Taliban, al-Qaida, Osama Bin Laden: lauter neue Wörter und Namen, und aus den USA waren schon die Kriegstrommeln zu vernehmen, auch wenn noch kein

Weitere Kostenlose Bücher