Radikal
die sehr berechtigte Frage stellen, wie high man eigentlich sein muss, um Sprengstoff zu verkaufen.
Aber diese Fragen helfen mir nicht weiter, erkannte er im nächsten Moment. Der Deal ist längst gelaufen. Ich habe keinen Einfluss mehr auf das, was jetzt passiert. Es geht nur noch darum, mich zu beruhigen.
Khaled. So hatte der Mann sich genannt. Niklas wusste, dass das ein arabischer Name war. Nicht nur wegen Khaled Scheich Mohammed, dem angeblichen oder mutmaßlichen oder erwiesenen oder Was-auch-immer-Mastermind der Anschläge vom 11. September 2001. Niklas wusste das, weil er im Wedding lebte. Als Deutscher. Zu erkennen, ob jemand Türke oder Araber war, konnte hier den Unterschied zwischen Schulterklopfen und einer blutenden Nase ausmachen. Niklas verstand zwar kaum ein Wort in einer dieser beiden Sprachen, aber er konnte an der Aussprache des Deutschen eindeutig erkennen, ob jemand Türke oder Araber war. Sogar Kurden hörte er heraus. Und Khaled hatte nicht nur einen passenden Namen, er sprach Deutsch auch genau so, wie Niklas es von den Arabern kannte. Daran bestand kein Zweifel. Selbst wenn Khaleds Vokabular, seine langen und verschachtelten Sätze, seine teure Kleidung und sein selbstsicheres Auftreten ebenso sicher den Schluss zuließen, dass er nicht von hier war. Nicht aus dem Wedding und vermutlich nicht einmal aus Berlin.
Niklas nahm einen tiefen Zug. Scheiße, dachte er, ich hab Sprengstoff an einen verschissenen Araber verkauft, ich bin dran. Natürlich ist er Terrorist. Und irgendeine Spur wird am Ende zu mir führen.
Andererseits, wog Niklas ab, ist es eine Menge Kohle, selbst wenn man dabei ein Risiko eingeht.
Einige Minuten lang malte er sich aus, was er damit würde anstellen können. Doch auch dieses Ablenkungsmanöver hielt er nichtlange durch. Denn es war leider gar nicht viel Geld, wenn man im Grunde nur kiffte, um die Zeit zwischen anderen Highs zu überbrücken. Und deshalb würde er, das ahnte Niklas, das Geld weder für eine Weltreise noch als Startkapital für einen Headshop verwenden, sondern zu schätzungsweise drei Vierteln in Drogen und einem Viertel in Chemikalien investieren. Genau wie er es mit allem anderen Geld, das er gehabt hatte, in den letzten drei Jahren getan hatte.
500 ml Wasserstoffperoxid zu 49,5 Prozent, ein Liter Schwefelsäure zu 96 Prozent und ein Liter Salpetersäure zu 65 Prozent, dazu ein bisschen Aceton: Mehr brauchte man nicht, um eine ziemlich mächtige Charge TATP herzustellen. Wirklich teuer war das Zeug nicht, die Zünder zu besorgen konnte ein Problem sein, aber dafür gab es den Kick beim Kochen und den Wums beim Kratersprengen nachts auf den Feldern in der Brandenburger Pampa gratis dazu.
Seine Mutter setzte schon lange keinen Fuß mehr in die Laube, die sie von ihrem Vater geerbt und in der Niklas vor einem Jahr unter dem Vorwand, es würde ihm beim Chemie- LK helfen, sein Labor eingerichtet hatte. Ob sie wusste, was er dort trieb, und deshalb fernblieb? Niklas überlegte kurz, ob es ihn rühren müsste, wenn es so wäre, kam aber zu dem Ergebnis, dass dies nur eine weitere Spielart von Desinteresse und Problemverdrängung darstellen würde.
Niklas trat den Joint auf dem blau übergestrichenen Betonboden des Balkons aus. In der Teufelsbar, einer traurigen Kneipe direkt gegenüber, versammelten sich die Frühaufsteher unter den Alkoholikern zu einem Frühstück, das aus einem halben Liter Bier und einigen hinterhergespülten Schnäpsen bestehen würde. Auf der Straße unter ihm rückten die ersten Frauen mit fahrbaren Einkaufstaschen mit Karomuster aus, die sie geräuschvoll hinter sich herzogen.
Die Soldiner Straße war so etwas wie das Arschloch von Berlin, fand Niklas, mit unabänderlicher Gewissheit jedes Jahr der absolute Loser beim Ranking der größeren Straßen der Stadt. Der Wedding war einmal ein Arbeiterbezirk gewesen; jetzt hatte hier kaum noch jemand einen Job. In den heruntergekommenen Altbauten, genau wie in den grauen Sozialwohnungen neueren Datums, herrschten Langeweile und Trostlosigkeit. Sicher, einige Studenten und einpaar Handvoll Künstler hatten sich mittlerweile in den Wedding verirrt, der billigen Mieten wegen und weil man problemlos abends mit dem Fahrrad in den Prenzlauer Berg fahren konnte, um die Teufelsbar zu vermeiden. Einmal im Jahr rief eines der Stadtmagazine den Bezirk zum Newcomer aus, zum kommenden Szeneviertel gar. Aber nie wurde etwas draus. Niklas hatte sich längst damit abgefunden. Mit dem
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