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Radio Heimat

Radio Heimat

Titel: Radio Heimat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goosen
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Fertiggericht von Käfer in den Ofen schob, dann aber vor dem laufenden Fernseher wegdämmerte. Sechs Stunden später wachte ich auf und fragte mich, welche Todesschwadron mich ausräuchern wollte.
    Ein bisschen problematisch war es, wollte man hier Damenbesuch empfangen, mit dem man etwas mehr unternehmen wollte als das Betrachten von Briefmarkenalben. Da das Appartement über keine Diele verfügte, gingen alle Geräusche direkt auf den Hausflur, und man braucht schon eine ausgeprägte exhibitionistische Ader, wenn man unter diesen Bedingungen erotisch aktiv werden und dies auch noch mit den üblichen Lauten der Zufriedenheit äußern will. Noch Jahre später musste ich mir »mittendrin« anhören, wieso ich denn so lange die Luft anhalte.
    Drei Jahre später zog ich dann endgültig aus, aber bisher habe ich an keiner Straße länger gewohnt als an der Alleestraße. Das Zahnarztehepaar lebt nicht mehr, und für das Wahlkreisbüro der Linkspartei kann ich nichts.
     

Rathauskind
    Um die Mutter meines Vaters von der Mutter meiner Mutter zu unterscheiden, hieß die eine Omma Goosen und die andere Omma Rathaus. Die bewohnte nämlich zusammen mit Oppa eine Dienstwohnung ebendort, von denen es seinerzeit insgesamt drei gab. Eine für den Hausmeister, im Parterre, da, wo heute, auf der hinteren Seite des Rathauses, der Eingang zum Bürgerbüro ist. Eine für den Elektriker, im vierten Stock, mit Blick auf die Christuskirche. Und die für den Heizungsmonteur, gleich daneben. Der Heizungsmonteur war mein Oppa. Und ich war das Rathauskind.
    Im riesigen Rathaus zu wohnen war nicht nur ein Abenteuer, sondern bot einige handfeste Vorteile. Die Miete war lächerlich niedrig, Omma und Oppa konnten umsonst telefonieren und die Hälfte der Steckdosen lieferte Gratis-Strom. Wieso die Hälfte, daran kann sich meine Omma nicht mehr erinnern.
    Meine Mutter hat hier ihre komplette Kindheit verbracht. Auch sie war ein Einzelkind, ausgestattet mit einem gewissen Maß an anarchischer Energie. Mal machte sie sich die Mühe, das seitliche, ausschließlich zur Wohnung meiner Großeltern führende Treppenhaus mit bunten Kreidefiguren zu verzieren, was eine ziemliche Arbeit war. Stundenlang hatte sie damit zu tun gehabt, und doch wurde es ihr nicht gedankt. Meine Omma hatte stundenlang damit zu tun, das alles wieder wegzuwischen, lachte sich aber die ganze Zeit kaputt. Sie hatte einen Sinn fürs Anarchische, wenn sie ihn auch nie radikal ausgelebt hat, aber immerhin hat sie zum Beispiel beim Arbeitsdienst in Berlin als Straßenbahnschaffnerin absichtlich falsche Haltestellen angesagt, damit die Leute noch ein bisschen Bewegung kriegten. Mein Oppa hatte weniger Sinn für Anarchie und auch keinen für moderne Kunst, weshalb es von ihm für diese Malaktion, im Einklang mit den Erziehungsmethoden der Fünfzigerjahre, mit Schmackes hinter die Löffel gab.
    Ein anderes Mal schlössen meine Mutter und ihre beste Freundin einen bei der Stadt angestellten Schreiner in seiner Werkstatt ein, schoben einen Wasserschlauch durch das Oberlicht und scheuchten den Mann durch den Raum, bis er sich in einem Schrank versteckte. Auch darüber war Oppa nicht amüsiert. Noch Jahrzehnte später verfinsterte sich sein Gesicht, wenn er davon erzählte: »Ich sach dir, da hatte der Arsch von deine Mutter Kirmes!«
    Meine Lieblingsgeschichte ist die vom Zapfenstreich des Maiabendfestes. Das Maiabendfest ist alter Brauch in Bochum und geht auf eine historische Begebenheit zurück. Im vierzehnten Jahrhundert sollen die wilden Horden, die damals wie heute die Stadt Dortmund bewohnten, dem Grafen Engelbert von der Mark eine Herde Vieh gestohlen haben, worauf sich der Graf an die Bochumer Bürger wandte, ihm zu helfen. Ein Dutzend Bochumer Junggesellen zogen daraufhin los, vertrimmten die Dortmunder und gaben dem Grafen die Kühe zurück. Als Belohnung durften sie von nun an jedes Jahr am Vorabend des 1. Mai im gräflichen Wald eine ausgewachsene Eiche abholzen, die einem verdienten Bochumer Bürger übergeben wurde, der wiederum ein Schützengelage, eben das Maiabendfest, ausrichtete. Da es im Ruhrgebiet allgemein üblich ist, noch die nichtigste Kleinigkeit zu einem Gelage zu nutzen, und viele es immer feierwürdig finden, wenn Dortmunder vertrimmt werden, wird das heute noch an jedem letzten Samstag im April gefeiert, wenn auch in sehr viel kleinerem Rahmen.
    In den Fünfzigern versammelte man sich am Freitagabend bei Fackelschein zum großen Zapfenstreich auf dem Bochumer

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