Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Radio Heimat

Radio Heimat

Titel: Radio Heimat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goosen
Vom Netzwerk:
angemessen zu dokumentieren, gingen meine Mutter und ich später am Tag ins Kaufhaus Kortum, wo ich in allen möglichen Posen fotografiert wurde. Danach gingen wir automatisch in die Spielwarenabteilung, wie wir es immer taten, wenn wir bei Kortum waren. Meine Mutter drückte mir zehn Pfennig in die Hand, damit ich sie in die »Bimbo-Box« warf, eine Art Jukebox für Kinder, in der keine Platten liefen, sondern eine offensichtlich kokainsüchtige, in bunten Klamotten gewandete Affenband mit irrem Blick unter staubigen Stoffpalmen auf diverse Instrumente einhämmerte, als gäb's kein Morgen. Ich hob schon die Hand, um das Geldstück in den Schlitz zu schieben, hielt dann aber inne, sah meine Mutter an und schüttelte den Kopf. »Nein, Mama. Ich muss jetzt mit Jungs zur Schule gehen, die sich nur von Schokolade und Popeln ernähren. Ich glaube nicht mehr an die Bimbo-Box.«
    Meine Mutter lachte, und wir gingen Eis essen. Kurz danach wurde ich erwachsen.
     

Steh auf, du Mädchen
    Mücke war nicht gerade der geborene Frauenversteher. Sein großer Bruder, der auf der Hauptschule den liebevollen Beinamen »Schläger« hatte, redete über die Mädchen, mit denen er bisweilen Unaussprechliches trieb, in den üblichen Parametern maskuliner Dominanz, und auch Mücke fiel gegenüber der minderjährigen Weiblichkeit in unserem Umfeld selten etwas Freundlicheres ein, als ihr in der Schule nasse Schwämme ins Gesicht zu schleudern. Für Mücke waren bestimmte Dinge Naturgesetz. »Was glaubst du wohl«, käute er gern wieder, was sein Bruder irgendwo aufgeschnappt hatte, »wieso Frauen im Sport immer hinterherlaufen? Weil sie früher in der Höhle gehockt und aufs Feuer aufgepasst haben, während wir draußen Mammuts plattgemacht haben!«
    »DU hast Mammuts plattgemacht?« Wenn Mücke neben seiner dreckigen Hose stand, konnte er kaum über die Gürtelschnalle gucken.
    »Nicht persönlich! Aber meine Vorfahren, du Idi! Das steckt noch in den Genen!«
    Wieso Mädchen und Frauen aber immer wieder eine dicke Lippe riskierten, wollte Mücke nicht in den Kopf. »Mein Bruder sagt, man kann sie einfach nicht verstehen, die Weiber. Und da hat er recht!«
    Komplett mädchenfreie Zone war damals der Fußball. Mädchen duldeten wir höchstens als Zuschauerinnen, vor denen wir unsere kleinen Verletzungen maßlos übertrieben, um ihnen dann heldenhaft zu trotzen. In der Sportschau wurde damals am Samstagabend zwar nur von drei Spielen berichtet, aber die studierten wir ganz genau, nicht nur, was die Tore anging, sondern auch das korrekte Verhalten bei Fouls.
    An einem sonnigen Nachmittag Mitte der Siebzigerjahre trat Mückes Verhältnis zu Mädchen in eine neue Phase ein. Wir pöhlten auf der Wiese vor der Schule am Springerplatz. Spüli, Pommes, Mücke und ich sowie zwei Jungs aus der Gegend, Michael und Rüdiger, Jungs, mit denen wir so wenig zu tun hatten, dass wir nicht mal Spitznamen für sie hatten. Plötzlich tauchte ein Mädchen mit einem Hund auf und sah uns zu. Der Köter war aus mehreren Rassen zusammengesetzt und hörte auf den bescheuerten Namen »Lord«. Ein paarmal verschwand er in einem nahen Gebüsch, und das Mädchen brüllte ihm ein »Lord, komm hierhin!« hinterher. Ansonsten hatte sie rote Haare und sah wohl nicht schlecht aus, aber es sollte noch ein, zwei Jahre dauern, bis uns das richtig interessierte.
    Dass wir alle dennoch etwas mehr Körperspannung aufbauten, ist jedoch unstrittig. Die Diskussionen wurden hitziger, die Posen deutlicher ausgespielt. Da fiel man schon mal auf die Knie und vergrub das Gesicht in den Händen, wenn man freistehend vor dem Tor vergeben hatte, nach dem Motto: Normalerweise mache ich den rein! Bei tatsächlichen oder eingebildeten Fouls rollten wir ein bisschen auf dem Boden hin und her, fassten uns an den Knöchel, rappelten uns wieder auf, prüften die Standfestigkeit des lädierten Knochens - und stürzten uns mit dem Mute des echten Kämpfers wieder ins Geschehen. Von Mücke kriegten wir dann schon mal ein »Steh auf, du Mädchen!« reingedrückt. Na gut, er konnte sich das leisten, er hatte keine schlechte Ballbehandlung und war ein echter Dribbelprinz, auch wenn er den Ball nur ungern hergab, was die ganze Sache für seine Mannschaftskollegen bisweilen etwas langweilig machte. Unangenehm wurde es, wenn er den Torwart ausspielte, den Ball auf der Linie ablegte und sich auf die Knie fallen ließ, um ihn mit dem Kopf reinzuschieben. Warum nur gewinnen, wenn man auch demütigen kann!
    Dann

Weitere Kostenlose Bücher