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Radio Heimat

Radio Heimat

Titel: Radio Heimat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goosen
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nächsten Angriff über den anderen Flügel. Tatsächlich gelang es ihm diesmal besser, das Spielgerät abzuschirmen, ja, er nahm seiner Gegenspielerin sogar ein oder zwei Meter ab und tauchte bedrohlich schnaufend vor meinem Tor auf. In seinen Augen war zu sehen, dass er mich, bei aller Freundschaft, mit dem Ball bis zur Straße pöhlen würde. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er die entscheidende Sekunde zögerte, um mich nicht zu verletzen, aber diese eine Sekunde reichte dem Mädchen, um mit Mücke gleichzuziehen und ihn dann seitlich sauber abzugrätschen. Sie traf den Ball, spielte also nicht foul, aber sie traf auch Mückes Beine, und ich weiß nicht, was ihr mehr Spaß machte. Mücke jedenfalls blieb liegen und schrie unflätige Schimpfwörter, doch das Mädchen hatte schon Spüli überlaufen, der dann einfach stehen blieb, weil es eh keinen Sinn hatte, und als sie vor dem Torwart stand, sagte sie nur: »Geh weg!«
    Rüdiger trat zur Seite, das Mädchen legte den Ball genau auf die Linie, ging dann in die Hocke und schob ihn mit dem Hinterteil ins Tor. Dann holte sie Speichel tief aus ihrem Inneren hervor, rotzte auf den Boden und kam zu Mücke, der sich immer noch den Knöchel hielt. Sie baute sich neben ihm auf und sagte: »Steh auf, du Mädchen!« Dann ging sie zur Straße, rief noch »Lord, komm hierhin!« und verschwand hinter der nächsten Ecke. Wir sahen sie nie wieder und erfuhren nie ihren Namen.
    Man kann nicht sagen, dass Mücke von diesem Tage an Mädchen wirklich verstand, aber er begegnete ihnen doch mit ein bisschen mehr Respekt.
     

Fast berühmt
    Spüli, Pommes, Mücke und ich wären fast berühmt geworden, aber irgendwie ging die Sache den Bach runter, bevor wir richtig loslegen konnten.
    Es war eine Schnapsidee, aber wir waren vier, und das war nun mal die magische Zahl, meinte jedenfalls Mücke.
    »Ich kann ja nicht mal Noten lesen«, sagte Pommes.
    »Bist du bescheuert?«, fuhr Mücke ihn an. »Glaubst du vielleicht, John Lennon konnte Noten lesen? Es geht hier um Rock'n'Roll, nicht das scheiß Sonntagskonzert.«
    Es war 1983, alles zuckte im Takt der abebbenden Neuen Deutschen Welle. Im Frühling war Major Tom durch die Wolken gebrochen, und der Hasenzahn aus Hagen hatte 99 Luftballons steigen lassen. Robin Gibb wimmerte um Juliet, und man wippte den Sunshine Reggae.
    Mücke hatte uns im Aufenthaltsraum des Jugendzentrums zusammengerufen und verkündet, wir würden jetzt eine Rockband gründen. Wir seien vier, und das sei die magische Zahl. Die Beatles, The Who, Led Zeppelin, Queen. Die Welt warte auf uns und wir würden mehr Weiber abkriegen, als wir ertragen könnten. Das hörte sich nicht schlecht an. Wir waren noch an keiner Frau richtig dran gewesen, meinten aber, eine ganze Menge ertragen zu können. Spüli war zwar dabei, in dieser Hinsicht aufs andere Ufer zuzurudern, aber das war gewissermaßen noch nicht offiziell.
    »Außerdem«, meinte Mücke, »wollt ihr doch bestimmt mal irgendwann raus aus dem ganzen Scheiß hier, oder?«
    Spüli, Pommes und ich sahen uns an. Wir wussten nicht genau, was er meinte. Unsere Väter verprügelten unsere Mütter nicht, alle hatten Arbeit, und das mit dem Taschengeld war auch okay.
    »Ey, die Gegend hier ist doch auf dem absteigenden Ast! Keine Kohle ohne Kohle! Oder glaubt ihr, das wird hier mal so ne Art Kulturhauptstadt? Vergesst es! Wenn aus uns was werden soll, müssen wir weg hier, und zwar schnell. Das geht nur über harte Arbeit, großen Sport oder tobende Rockmusik! Harte Arbeit? Vergiss es, ich hab gesehen, was das aus meinem Alten gemacht hat. Großer Sport? Zu viele Idioten. Also bleibt nur Rockmusik.«
    Na gut, das hörte sich einigermaßen logisch an. Mit Arbeit hatte ich es nicht so und Sport war was fürs Fernsehen.
    Aber so richtig leicht würde das mit der großen Karriere auch nicht werden, das wurde uns schnell klar. Dass wir keine Noten lesen konnten, mochte noch angehen, dass wir keine Instrumente spielen konnten, würde sicherlich das größere Problem darstellen.
    »Du hast doch ne Gitarre«, sagte Mücke zu mir, »also was meckerst du?«
    Ich erlaubte mir anzumerken, dass eine Gitarre noch keine ganze Band ersetze.
    Mücke ließ das nicht gelten. »Ey, hast du mal gehört, was Brian May auf der Gitarre macht? Da kannst du aber jedes Sinfonie-Orchester in die Tonne kloppen!«
    »Ich dachte«, gab ich zurück, »du kannst Queen nicht ausstehen.«
    »Ich kann die Schwuchtel am Mikro nicht leiden. Der Langhaarige an der

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