Radio Miracoli und andere italienische Wunder
Flugzeugabsturzes. Aber damals war ich noch ein kleiner Junge. Nichtsahnend habe ich meiner Mutter die Zeitung gezeigt und gesagt: »Schau mal, da ist Federico!« Ich glaube, ich habe sogar gelächelt, als ich auf den Artikel deutete. Das hätten wir sein können auf dieser Straße, unsere Körper unter den weißen Laken. Ich weiß, das sagt sich so leicht, aber ich wäre liebend gern dort gewesen und hätte vielleicht die Gelegenheit gehabt, sie zu retten. Ich hätte mich über sie geworfen und mich, ohne zu zögern, als menschlicher Schutzschild vor sie gestellt. Ich hätte sie beschützt. Mit dem Wenigen, das in meiner Kraft steht, natürlich. Vielleicht hätten wir es geschafft, vielleicht auch nicht. Aber es wäre auf jeden Fall die Mühe wert gewesen. Das kann, das darf nicht das Ende sein. Ich werde ein wenig Zeit vergehen lassen und den Burschen dann ins Gewissen reden. Wir können doch nicht einfach kneifen. Vermutlich wird es nicht einfach werden, Diego und Fausto zu überzeugen, aber ich habe keine Lust, wieder in mein altes Leben zurückzukehren. Immerhin kann ich jetzt Leitungsrohre reparieren, Parkett verlegen und mich Verbrechern gegenüber behaupten. Zwei Dinge mache ich gewiss nicht mehr – vor dem Fernseher versauern oder mich hinter eine Ladentheke stellen und den Kunden einreden, dass der Mozzarella absolut frisch ist. Niemand wird sagen können: »Er ist wieder da, ich habe es doch gewusst«, weil ich durchaus in der Lage bin, meine Umgebung zu überraschen. Ich war weder unfähig noch mittelmäßig in meinem früheren Leben, ich war lediglich ein Gefangener meiner selbst. Ich habe alles nur noch unter dem Aspekt von Kosten und Ertrag gesehen und die Gesetzmäßigkeit des Unternehmens auf mein ganzes Leben übertragen. Dabei bin ich jedem Risiko aus dem Weg gegangen und habe jede persönliche Investition, die nicht einen sofortigen Gewinn nach sich zog, gescheut. Aus Gründen von Kosten und Ertrag habe ich mein Studium aufgegeben und stattdessen im Supermarkt gearbeitet. Ich habe Antonia geheiratet, obwohl wir beide noch zu jung dafür waren. »Bevor sie mir ein anderer wegschnappt«, habe ich mir damals gesagt. Jetzt weiß ich, dass ich dafür geboren bin, etwas zu riskieren, alles in die Waagschale zu werfen und zu versuchen, meine Träume zu realisieren, auch wenn es bereits zu spät ist. Wir werden ein anderes Bauernhaus finden, an einem anderen, ruhigeren Ort. Es wird noch schöner sein als das vorherige, und wir werden es uns von niemandem mehr wegnehmen lassen. Elisa wird einen fürstlichen Arbeitsvertrag bekommen, der allen Anforderungen der Gewerkschaft entspricht. Und sobald wir diesen Ort gefunden haben, werden wir Vito, Abu und Alex nachholen. Wir sind eine Siegermannschaft. Gemeinsam sind wir unschlagbar wie die Spartaner.
»Ob Vito es hinkriegt, dass sie nicht alles abfackeln?«, frage ich.
»Das interessiert mich im Moment am allerwenigsten. Der Mann riskiert sein Leben für uns. Wenn sie auch nur den geringsten Verdacht schöpfen, ist er geliefert«, sagt Sergio.
»Und wir unternehmen nichts dagegen?«
»Wenn er jetzt mit uns käme, wäre es noch schlimmer … er könnte sich in Zukunft nirgendwo mehr blicken lassen. Wir warten besser ab, bis Gras über die Sache gewachsen ist.«
»Sicher, aber …«
»Aber was?«
»Ist euch eigentlich klar, was wir da getan haben?«, frage ich und schaue die anderen an. »Im Grunde haben wir diese Typen doch nach Strich und Faden verarscht.«
Meine Bemerkung entlockt allen ein halbherziges Lächeln. Allen, bis auf einen: Fausto. Er dreht sich auf dem Autositz um und schaut mich betrübt an.
»Diese Typen kannst du nicht verarschen. Die schaffen es sogar, dass du letzten Endes deinen Sieg bereust.«
»Dann haben wir also verloren …«, erwidere ich.
»Nicht verloren … wir haben unentschieden gespielt.«
Fausto
Nein, sage ich, wir haben unentschieden gegen die Camorra gespielt, und zwar auswärts. Das ist so, als ob eine Stammtischmannschaft im Bernabéu-Stadium unentschieden gegen Real Madrid spielen würde. Das ist praktisch ein Sieg. Aber hört euch diese blöde Kuh von Journalistin an, was sie da gerade im Radio von sich gibt: »Die Zahl der Todesopfer des Massakers ist auf sieben angestiegen. Ein weiterer Afrikaner ist im Krankenhaus seinen Verletzungen erlegen …« Das ist Alex, verdammt noch mal, und sie sagt nur: »Ein weiterer Afrikaner.« Aber hinter Namen verbergen sich Geschichten, Geschichten handeln von Personen, und
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