Radio Miracoli und andere italienische Wunder
erkennen zu können, was sich da abspielt. Fausto versucht gerade hastig, wieder aufzustehen, hat auf dem feuchten Rasen aber mit dem Gleichgewicht zu kämpfen. Er hebt beide Arme und redet beruhigend auf Abu ein, wobei er rückwärts auf das Haus zugeht. Erst jetzt bemerken wir, dass der Afrikaner ein Beil in der Hand hält.
»Fausto!«, rufe ich.
»Madonna, der Typ wird uns noch alle massakrieren …«
Von Abu verfolgt, stürzt Fausto die Eingangstreppe hinauf und wirft hinter sich die Tür ins Schloss. In letzter Sekunde gelingt es uns, mit ihm ins Haus zu schlüpfen.
»Er will sie umbringen!«, brüllt Fausto.
Plötzlich beginnt die Tür unter Abus Beilhieben zu erzittern.
»Abu, beruhige dich, sonst geschieht ein Unglück!«, flehe ich.
»So löst du keine Probleme, sondern landest geradewegs im Knast!«, ruft Fausto.
Plötzlich tritt Ruhe ein. Ich seufze und werfe bange Blicke zu Fausto hinüber, der jedoch noch mehr Angst zu haben scheint als ich. Als im Wohnzimmer ein Fenster in tausend Scherben zerbirst, sehen wir uns gezwungen, in die Küche zu flüchten. Dort verbarrikadieren wir uns, aber gleich darauf spalten Beilhiebe das Holz, als wäre es Schaumstoff.
»Wir müssen die Gefangenen freilassen!«, beschließt Fausto.
Der Gedanke, dass wir damit unweigerlich das Ende unseres Abenteuers einläuten, lässt mich eine Sekunde zu lange mit meiner Antwort zögern.
»Wir tun es für Abu! Willst du, dass er zum Mörder wird?«, brüllt Fausto mich an.
Ein auffordernder Blick an Vito genügt, und er stürzt die Treppe hinunter. Abu bearbeitet jetzt die Türangeln. Es wird nicht mehr lange dauern, und er wird zu uns durchbrechen.
Die drei Gefangenen kommen herauf in die Küche. Vito deutet auf das Fenster. Ermutigt von Abus Beil, das durch das Türblatt schimmert, klettern sie hinaus. Franco als Erster, die beiden Jungen folgen ihm Hand in Hand. Einen Moment lang verkeilen sie sich mit den Beinen im Fensterrahmen. Vito schiebt sie hinaus und dreht sich dann mit fragendem Blick zu uns um.
»Los, raus mit dir!«, rufen wir.
Abu fällt Fausto weinend um den Hals. Ich muss dringend an die frische Luft. Nachdem ich erfahren habe, was passiert ist, habe ich den Geruch von Blut in der Nase. Mir ist schlecht. Sie haben Samuel und vier andere Afrikaner umgebracht, Alex ist möglicherweise nur verletzt. Als sie ihn auf die Krankenbahre legten, habe er noch ein seltsames Röcheln gehört, dann jedoch nichts mehr, erzählt Abu.
Wird ein Mensch erschossen, den man kennt, stellt man sich das bestimmt nicht so vor wie in den Filmen von John Ford. Dein Freund sinkt nicht stöhnend zu Boden, die Hand auf die Brust gepresst. Er bleibt nicht reglos liegen, während sich auf seinem Hemd eine makellose rote Blume ausbreitet. Man stellt sich das eher vor wie in einem Kriegsfilm von Spielberg. Ein gequälter Aufschrei, und dein Freund sinkt in einer Blutlache zu Boden, die Brust von einer Kugel zerfetzt.
Ich setze mich auf die Stufen der Veranda und schlage die Hände vor das Gesicht. Mir gehen so viele Gedanken durch den Kopf, dass es mir nicht möglich ist, auch nur einen festzuhalten, um mir klar zu werden, was ich in diesem Moment eigentlich empfinde. War er auf der Stelle tot? Hat er mit angesehen, wie das Blut aus der Wunde floss? Hat die Kugel das Herz, die Lunge oder – schlimmer noch – den Bauch getroffen? Hat sie das Fleisch durchschlagen oder zuerst einen Knochen zersplittert? Ätzende Magensäure steigt in mir hoch, und ich muss würgen. Unbeholfen spucke ich die Flüssigkeit aus, direkt auf meine Knie.
Autoscheinwerfer beleuchten die Hauptstraße und kriechen gleich darauf über unseren Schotterweg.
»Macht das Licht aus!«, rufe ich.
Ich komme gerade noch rechtzeitig ins Haus, um Abu aufzuhalten, der sich Faustos Griff entwinden konnte.
»Nicht jetzt!«, wiegle ich, heftig gestikulierend, ab.
Wir schalten alle Lichter aus. Fausto geht schon mal los und schließt die Hintertür auf, damit wir im Notfall so schnell wie möglich über die Felder verschwinden können. Hinter dem Fenster postiert, beobachten wir, wie der Wagen über ein Schlagloch holpert und mit einem dumpfen, metallischen Knirschen abrupt im Hof zum Stehen kommt. Es ist Sergios Renault. Wortlos steigen die drei Insassen aus dem Wagen. Elisa ist bleich wie ein Bettlaken. Als sie Abu sehen, laufen sie ihm entgegen.
»Abu!«, ruft Elisa.
Sergio fällt ihm um den Hals, und Abu erwidert hölzern seine Umarmung.
»Wir haben uns solche
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