Rächer des Herzens (German Edition)
nicht los. „Mir war bald klar, dass es etwas in India gab, zu dem ich nie vordringen konnte“, sagte er. „Du hast selbst gesagt, wie distanziert sie war, und das stimmte. Ich wusste, dass etwas ihr Sorgen bereitete. Sie war unglücklich, und ich hatte die starke Befürchtung, dass ich die Ursache dafür war.“
Isabella zitterte. Dies war nun ihre Gelegenheit, Marcus von Edward Warwick zu erzählen, und doch zögerte sie noch. Er hatte sich ihr anvertraut, und zwischen ihnen bestand ein immer noch zerbrechliches Vertrauen. Würde sie alles zerstören, ehe es richtig begonnen hatte, wenn sie ihm sagte, dass sie ziemlich sicher den wirklichen Grund für Indias unglückliches Leben kannte?
Er hatte bemerkt, dass sie zitterte, und sah sie fragend an. Der Blick seiner dunklen Augen war plötzlich so sanft, dass Isabella einen scharfen Schmerz des Bedauerns darüber spürte, was sie nun tun musste. Aber es hatte schon zu viele Geheimnisse zwischen ihnen gegeben, als dass sie nun schweigen durfte. Außerdem musste man Warwick stets in Betracht ziehen.
Isabella drückte seine Hand und ging neben seinem Stuhl auf die Knie. Dann sprach sie mit Bedacht.
„Mit Sicherheit hat es euch beide recht traurig gemacht, Marcus, dass eure Ehe nicht so glücklich war, wie sie hätte sein können. Ich glaube jedoch, dass es noch einen anderen Grund für Indias Kummer gab.“
Marcus presste ganz fest ihre Hand. „Was kann das sein, Isabella?“
Sie holte tief Luft. Jetzt gab es kein Zurück mehr.
„Ich glaube, dass India einen anderen liebte“, sagte sie. „Ich glaube, sie liebte Edward Warwick, Marcus, und ich glaube, sie hatte ein Kind von ihm.“
Isabella ersparte ihm nichts: alles, was Pen gesagt hatte, ihre Erinnerungen und gemeinsamen Entdeckungen, die Neuigkeit von dem unehelichen Kind, dessen Vater angeblich Lord John war, und das Medaillon in dem seidenen Taschentuch … Während ihres ganzen Berichtes saß Marcus reglos und schweigend da und wandte den Blick seiner dunklen Augen nicht ein einziges Mal von ihr ab.
„Ich glaube, das Traurigste von allem war, dass Warwick sie wirklich liebte. Warum sonst wäre er im Jahr darauf wieder nach Salterton gekommen? Er wollte sie heiraten, aber Lord John lehnte seinen Antrag ab, und Warwick hatte keine Möglichkeit, dies zu ändern“, beendete Isabella ihren Bericht.
Jetzt machte Marcus eine kleine Bewegung. Bis dahin hatte er schweigend und so still dagesessen, dass Isabella nicht erkennen konnte, wie ihre Worte auf ihn gewirkt hatten. Er hatte sie nicht unterbrochen oder irgendwie sonst zu erkennen gegeben, dass er ihr nicht glaubte. Trotzdem fühlte Isabella eine gewisse Angst in sich hochkommen, und zwar nicht nur Indias wegen. Isabella wollte Marcus’ Achtung vor seiner verstorbenen Frau nicht zerstören, aber sie war ehrlich genug zuzugeben, dass auch ihr selbst seine gute Meinung wichtig war.
„Ich verstehe nicht, warum Lord John und Lady Jane India nicht erlaubt haben, Warwick zu heiraten“, sagte Marcus nun. „Wenn sie ein Kind von ihm hatte, dann hätten sie doch in jedem Fall einen Skandal vermeiden wollen, oder?“ Sein Ton war kühl und gelassen, als ob er versuchte, ein Rätsel zu lösen, das ihm persönlich nichts bedeutete, sondern nur eine geistige Herausforderung darstellte.
„Du kanntest doch die Southerns“, sagte Isabella. „Ich habe Lady Jane besonders gern gehabt, aber sie war sich ihrer gesellschaftlichen Stellung immer sehr bewusst. In der Hinsicht glich sie meiner Mutter. Ich erinnere mich sogar daran, dass sie mich, als wir uns kennenlernten, einmal ermahnte, keine Tendresse für dich aufkommen zu lassen, weil du angeblich gesellschaftlich nicht akzeptabel warst. India war ihr einziges Kind, auf sie hatten sie all ihre ehrgeizigen Hoffnungen gesetzt. Sie konnten nicht zulassen, dass ihre Tochter sich an jemand ohne gesellschaftliche Aussichten wegwarf.“
Marcus ließ Isabellas Hand plötzlich los und stand auf. Er fuhr sich mit beiden Händen unruhig durchs Haar.
„India liebte einen anderen Mann … Sie gab ihr Kind weg …“
„Ich bin nicht sicher“, sagte Isabella schnell, „aber es deutet alles darauf hin.“ Sie sah zu ihm auf und versuchte, seine Gefühle einzuschätzen. „Es tut mir alles so leid, Marcus. Ich möchte nicht, dass du schlecht von India denkst.“
„Ich weiß nicht, was ich denken soll“, antwortete er, wobei er Isabella mit einem langen, undeutbaren Blick ansah. „Ich gehe für eine Weile nach
Weitere Kostenlose Bücher