Rätselhafte Umarmung
leiseste Idee zun haben, was sie damit anfangen sollte. Sie wusste , daß die Pedale unter ihren Füßen zu irgend etwas gut waren, aber sie konnte sich nicht erinnern, wozu. Und als ihr Gehirn versucht hatte, ihre Hände und Füße zu aktivieren, war die Botschaft nicht durchgekommen.
Allein bei dem Gedanken drehte sich ihr der Magen um. Das hätte fürchterliche Folgen haben können. Sie hätte jemanden überfahren können. Die seltsame Frau neben ihr im Wagen hätte verletzt oder getötet werden können. Sie hätte sich selbst umbringen können, und dann hätte sie Rachel nie wieder gesehen.
Eiseskälte breitete sich in ihrem gebrechlichen alten Körper aus, und sie zog ihren Mantel fester um sich. Sie hatte ihn verkehrt herum angezogen, aber es war ihr nicht gelungen, ihn umzudrehen, und im Grunde war das auch egal. Das einzige, was jetzt zählte, war Rachel.
Die Tür öffnete sich einen Spalt, und plötzlich trat sie ein. Das Herz schlug ihr im Hals.
»Rachel?« fragte sie leise,
Ihre Tochter sah mit geröteten Augen zu ihr auf, in denen Tränen glänzten. »Mutter? Wieso bist du wach? Ist alles in Ordnung?«
»Nein«, murmelte Addie. »Nichts ist in Ordnung.«
Sie schlurfte ins Zimmer und setzte sich aufs Bett, kerzengerade und mit im Schoss gefalteten Händen. Sie hatten schon öfter so zusammengesessen. Vielleicht war das schon lange, lange her - das wusste sie nicht genau -, aber ihr kam es vor, als wäre es gestern gewesen. Sie hatten auf ihrem Bett in dem kleinen Haus in Berkeley gesessen und hatten Pläne für Rachels Zukunft geschmiedet. Jetzt saß ihr Rachel erwartungsvoll gegenüber und wartete darauf, daß sie etwas sagte.
»Sitz gerade, Rachel«, sagte sie mahnend und tätschelte ihrer Tochter das Knie. Doch plötzlich senkte sich Trauer wie ein grauer Schleier über sie, und sie zog die Hand zurück. »Ich bin immer zu hart mit dir umgegangen. Talent muss mit fester Hand geführt werden, aber ich war zu hart. Deshalb bist du mit diesem Gitarrespieler durchgebrannt, nicht wahr?«
»Ja«, flüsterte Rachel.
Addie schüttelte den Kopf. »Er ist nicht gut genug für dich.«
Rachel lächelte wehmütig. »Ich weiß, Mutter. Wir sind nicht mehr zusammen.«
»Gut«, urteilte sie entschlossen. »Abgesehen von dieser Sache warst du immer ein ganz vernünftiges Mädchen.« »Ich hätte mir gewünscht, daß du mich trotzdem liebst. Ich wünschte, du hättest das gekonnt.«
»Dich lieben?« fragte Addie verständnislos. Sie starrte ihre Tochter an, als wäre sie überzeugt, daß Rachel den Verstand verloren hatte. »Ich habe dich immer geliebt. Du bist mein ein und alles.«
»Aber du hast mir nicht vergeben.«
»Ich würde nicht mal mir selbst vergeben. Aber das heißt nicht, daß ich dich nicht geliebt habe. Ich habe dir nicht vergeben. Das sind zwei vollkommen verschiedene Dinge«, betonte Addie.
»Vergibst du mir jetzt?«
»Du hast all unsere Träume weggeworfen«, setzte Addie an und bremste sich sofort. Was nutzten ihr diese Träume jetzt noch? Sie waren endgültig ausgeträumt. Rachel musste ihr Leben selbst leben.
Sie richtete sich auf und starrte auf den Boden und auf die grünen Gummistiefel, die sie inzwischen ständig trug, weil sie so leicht an-und auszuziehen waren. Der Saum ihres rosa Morgenmantels hing verkehrt herum über den Schaft. »Ich bin eine kranke Frau, Rachel. Ich weiß, daß ich das ganz gut verheimlichen kann, aber ich vergesse immer mehr. Ständig. Heute habe ich vergessen, wie man Auto fährt.«
»Es ist schon gut...«
»Nein, das ist es nicht«, widersprach sie ernst. »Es ist überhaupt nicht gut. Es ist grauenvoll. Ich hatte eine wunderschöne Sammlung von verschiedenen Vogelkäfigen. Glaubst du, ich hätte nur eine Ahnung, wo sie hingekommen sind?«
»Wir haben sie verkauft«, antwortete Rachel vorsichtig.
Addie starrte sie ohne jeden Funken einer Erkenntnis an.
»Nicht so schlimm. Ich bin heimgekommen, um dir zu helfen, Mutter. Wir kommen schon zurecht.«
Addie lächelte tapfer und tätschelte ihrer Tochter das Knie. »Wir kommen schon zurecht. Wir sind immer zurechtgekommen. Wir haben einander. Und wir haben Hennessy.«
Rachel schloss die Augen, so plötzlich kam der Schmerz. »Nein, Mutter, Hennessy haben wir nicht mehr.«
Addie zog irritiert die Stirn in Falten. »Du hast Hennessy rausgeschmissen?«
»Er kann nicht mit uns nach San Francisco kommen. Das würde nicht funktionieren. Er ist kein Butler.«
»Ach so. Na ja ...« Wahrscheinlich hatte sie
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