Rätselhafte Umarmung
wenn Sie mir Ihres verraten. Und dann tanzen wir auf dem Rasen Tango.«
Rachel schaute ihnen nach. Eine eigenartige Mischung verschiedenster Gefühle machte sich in ihr breit, als sie Bryan ihre Mutter wegführen sah. »Ist er eigentlich jemals ernst?«
»O ja«, antwortete Faith und seufzte angesichts der Erinnerung. Ohne sich um die Staubschicht darauf zu kümmern, ließ sie sich auf einem alten Schreibtisch nieder und faltete die Hände über ihren abgetragenen Jeans. »Nach Serenas Tod haben wir Bryan lange nicht lächeln sehen.«
»Serena?«
»Seine Frau«, erläuterte Faith sanft. Sie wartete, bis Rachel die Information verdaut hatte. Mitfühlend beobachtete sie das entsetzte Gesicht der jungen Frau. »Sie starb vor anderthalb Jahren an Krebs.«
»Das - das wusste ich nicht.« Rachel hatte das Gefühl, von einem Schwertransporter überrollt zu werden. Die Knie wurden ihr weich, und sie ließ sich unsicher auf einen riesigen, eckigen Vogelkäfig sinken.
Bryan war verheiratet gewesen. Er hatte eine Frau geliebt, die später gestorben war. O Gott, dachte sie, ohne die Tränen zurückhalten zu können, die ihr in die Augen stiegen, wie hatte sie sich in ihm getäuscht! Sie hatte geglaubt, daß er nie Schmerz ertragen und nie Verantwortung übernommen hatte.
»Wenn wir ihm seine albernen Späße zur Zeit recht oft durchgehen lassen«, fuhr Faith fort, »dann nur, weil wir sie so lange vermisst haben. Außerdem«, fügte sie hinzu und schenkte Rachel ein strahlendes Lächeln, »ist wesentlich mehr an Bryan, als man auf den ersten Blick sieht.«
»Das habe ich mir schon gedacht«, murmelte Rachel.
Verdammt, dachte sie, diese Neuigkeit hatte sie vollkommen aus dem Gleichgewicht geworfen. Sie kam sich schäbig und schuldig und ausgesprochen egozentrisch vor. Plötzlich regte sich Wut in ihr. Sie brauchte das nicht. Sie hatte schon genug emotionales Gepäck mit sich herumzuschleppen. Sie brauchte sich nicht auch noch Bryans aufzuladen. Es war nur ein weiterer Grund, warum sie sich nicht mit ihm einlassen durfte.
Wenn sie sich an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit begegnet wären, dann wäre vielleicht alles anders gewesen. Aber es blieb dabei: Sie musste sich um ihre Mutter kümmern. Bryan musste sein verwundetes Herz heilen, und sie versuchten beide, auf vollkommen unterschiedliche Weise mit ihren Problemen fertig zu werden. Sie sah keine andere Möglichkeit, als sich der Realität zu stellen, wie unangenehm sie auch sein mochte. Er dagegen überzog lieber alles mit einem Zuckerguss aus Magie und albernen Späßen.
Plötzlich sah Rachel auf, und im nächsten Augenblick kam Bryan mit Addie in den Armen durch die Tür hereingetanzt. Auf den Wangen ihrer Mutter leuchteten rote Flecke, und zwischen den Zähnen hielt sie eine Rose. Bryan setzte sie in einem Sessel mit hoher Lehne ab und kam dann zielstrebig auf Rachel zu. Er blieb vor ihr stehen und sah sie ernst an.
»Dorothy«, sagte er. »Ich glaube, die Mömpfe sind da.«
»Wer?« fragte Faith.
Rachel dagegen wusste genau, worauf er anspielte. Sie hatte ihre Reise mit der von Dorothy ins Zauberland Oz verglichen. Wer allerdings die Mömpfe sein sollten, wusste sie nicht. Fragend zog sie die Brauen hoch.
Bryan warf einen Blick über die Schulter, um sich zu vergewissern, daß Addie nicht lauschte. Sie zwirbelte die Rose an deren Stiel und sang leise eine Passage aus Aida vor sich hin. Er wandte sich wieder an Rachel. »Es stehen zwei bemerkenswert aussehende Herren vor unserer Tür, die mit dir über den Verkauf von Drake House sprechen wollen.«
»Aber ich habe das Haus doch noch gar nicht angeboten«, meinte Rachel. »Woher wissen sie denn, daß es zu verkaufen ist?«
»Das frage ich mich auch«, sagte Bryan und strich sich mit der Hand durch das sandfarbene Haar. Seine Augen blickten durch die Brillengläser in weite Ferne. »Das frage ich mich auch.«
Rachel entschuldigte sich und ging in den Flur hinaus. Sie wunderte sich, daß ihr sowenig daran lag, diese Kaufinteressenten kennenzulernen. Sie hatte sich Sorgen gemacht, daß sie das Haus vielleicht nicht loswerden könnte, weil es so heruntergekommen war. Eigentlich hätte sie sich über diese Wendung der Ereignisse freuen müssen, aber sie tat es nicht.
Als sie die schwere Eingangstür aufzog, begriff sie augenblicklich, was Bryan mit »bemerkenswert aussehend« gemeint hatte. Einer der Männer war einen Meter sechzig groß und fast genauso breit. Sein Kopf war rund und kahl wie eine
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