Rätselhafte Umarmung
gutaussehende Ablenkung.
Sie beobachtete ihn, während er etwas in dem Buch notierte, das er in seinem rechten Arm hielt. Er trug verblichene Jeans, die sich genau an den richtigen Stellen an seinen festen, männlichen Körper schmiegten. Seine starken Schultern waren unter einem Polohemd verborgen. Die Farbe brachte seine blauen Augen derart zum Leuchten, daß Rachel der Atem stockte. Glänzende Strähnen hellbraunen Haares fielen in seine breite Stirn.
Seine Brille rutschte ihm langsam von der Nase. Ohne von der Arbeit aufzusehen, hob er die linke Hand und schob das Drahtgestell mit dem Mittelfinger wieder hinauf. Es war eine Geste, die er schon hundertmal in ihrer Gegenwart gemacht hatte, und trotzdem fand sie sie diesmal aus einem unerklärlichen Grund eigenartig reizvoll.
Ihr Blick kam auf seinen Händen zu liegen, und in ihrem Bauch begann es zu kribbeln. Diese großen Hände waren stark und sanft zugleich, fast so sanft wie seine Lippen, als sie auf ihren gelegen hatten. Jede Nacht träumte sie davon, daß diese Hände sie liebkosten. Äonen schienen vergangen zu sein, seit er sie das letztemal berührt, seit er sie geküsst hatte, dabei war es nur drei Tage her. Sie hätte wahrscheinlich genau sagen können, wie viele Stunden und Minuten seither verstrichen waren.
Es fuchste sie, daß sie soviel Zeit damit verbrachte, über ihn nachzudenken. Sie war zu dem Schluss gekommen, daß sie sich nicht mit Bryan Hennessy einlassen konnte. Also hätte ihr Verlangen nachlassen müssen. Seit ihrem Streit hatte sie ihn, so gut sie konnte, gemieden, wenn man berücksichtigte, daß sie im selben Haus lebten. Sie hatte sich ihm gegenüber so kühl gegeben, daß es schon an Unhöflichkeit grenzte.
Und trotzdem bemühte er sich um sie. Der ständig wachsende Rosenstrauß auf ihrer Kommode bezeugte das. Jeden Abend, wenn sie zu Bett ging, wartete auf ihrem Kissen eine Blume auf sie. Die Geste wirkte noch liebenswerter, weil er immer wieder abstritt, davon zu wissen.
Sie musste einfach ständig an ihn denken. Wäre sie eine Träumerin gewesen, hätte sie glauben können, er hätte sie mit einem
Zauberspruch gebannt. Statt dessen schob sie es auf die Blumen. Sie hatte immer schon eine Schwäche für Rosen gehabt.
»Rachel?« fragte Faith zum drittenmal.
Rachel schrak aus ihren Gedanken hoch. »Es tut mir leid. Was ist?«
Ein mitfühlendes Lächeln breitete sich auf Faith' herzförmigem Gesicht aus und brachte es zum Leuchten. »Ich wollte gerade vorschlagen, daß wir eine Kaffeepause machen.«
»O ja, natürlich«, stammelte Rachel, die vor Verlegenheit rot wurde. Sie unterdrückte den Wunsch, sich die verräterischen Flecken von den Wangen zu reiben, und krampfte die Hände fester um das Buch, das sie gegen ihr unförmiges T-Shirt presste .
Plötzlich stampfte Addie mit dem Gummistiefel auf. »Ihr seid Diebe, alle miteinander! Ihr wollt meine Vogelkäfige stehlen. Aber das lasse ich nicht zu, das könnt ihr mir glauben! Ich rufe jetzt die Polizei!«
»Mutter!« schrie Rachel auf, deren Nerven endgültig bloßlagen. Ein halbes dutzendmal hatte sie mit Addie alles durchgesprochen. Es kostete sie Mühe, sich immer wieder vorzusagen, daß Addie jedes dieser Gespräche vergessen hatte, daß sie ihnen nicht absichtlich Schwierigkeiten machte. »Bitte schlepp uns nicht wieder diesen unerträglichen Deputy ins Haus.«
»Er wird alles aufklären«, meinte Addie. »Er kann auch diesen gräßlichen Geist finden, wenn er schon mal hier ist, und dann wird er euch alle einsperren.«
»Wenn er jemanden einsperrt, Mutten dann dich. Er ist sowieso schon böse auf dich.«
Addie schleuderte den Rest ihrer Selleriestaude nach ihrer Tochter und stampfte zur Tür. Bryan stellte sich ihr in den Weg.
»Hennessy, geh weg«, befahl Addie.
»Das tue ich keinesfalls, meine Schöne«, widersprach er mit einem charmanten Lächeln. »Wissen Sie eigentlich, daß Sie einen ganz bezaubernden Teint haben, Addie? Wie machen Sie das bloß?«
Addie wurde rot wie ein Schulmädchen. Sie war immer stolz auf ihre makellose Haut gewesen. Bryans Kompliment schmeichelte ihrem angekratzten Ego und lenkte sie augenblicklich von ihrem Vorhaben ab.
»Alle Gunther-Frauen haben schöne Haut«, antwortete sie geziert und tätschelte sich mit der flachen Hand die Wange. »Wir haben ein altes Familiengeheimnis.«
»Aha, ein Geheimnis«, sagte Bryan erfreut. Er nahm ihren Arm und hakte sie unter. »Ich habe auch ein Geheimnis. Ich werde Ihnen meines verraten,
Weitere Kostenlose Bücher