Rätselhafte Umarmung
Lächeln einfach erwidern. Es wäre schön gewesen, Faith Callan zur Freundin zu haben. Einen Augenblick gestattete sie es sich zu träumen. Sie stellte sich vor, wie es wäre, sich hier niederzulassen und Freunde zu haben, die sie einfach anrufen und auf ein Täßchen Tee einladen konnte. Noch etwas, das sie sich wünschte und nie haben würde, sagte sie sich, während sie beobachtete, wie Bryan seine Freundin zu ihrem Kombi begleitete.
»Liebe Miss Lindquist«, mokierte sich Bryan, während er mit den Händen in den Hosentaschen neben Faith herging. »Wir möchten Sie herzlich zu einem Verhör im Keepsake Inn, Anastasia am See, einladen. Daumenschrauben können gestellt werden.«
Faith zog enttäuscht die Stirn in Falten. »Ich mag sie, Bryan. Sie hat bestimmt keinen Mann verdient, der die Motive seiner engsten Freunde in Frage stellt. Außerdem«, fügte sie hinzu, »kümmern sich Alaina und Jayne und ich genauso um dich, wie du dich um uns kümmerst.«
»Ja«, gestand Bryan zu, »und dafür liebe ich euch. Aber ich bin inzwischen ein großer Junge; ich kann selbst auf mich aufpassen - mehr oder weniger.«
Faith wirkte keineswegs überzeugt, als sie die Wagentür aufzog und hinter das Steuerrad glitt. »Du muss t mal wieder zum Friseur, großer Junge.«
Bryan grinste spröde und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Er würde sich noch eine Notiz machen müssen. Er beugte sich herab, küsste Faith durch das offene Fenster auf die Wange und reichte ihr dann eine kleine blaue Blume, die er aus dem Nichts hervorgezaubert hatte. Faith steckte sie in ein Knopfloch ihrer weißen, gestärkten Bluse und sah ihn so ernst an, wie sie nur konnte. »Bitte geh vorsichtig mit deinem Herzen um, Bryan. Du verschenkst es so leicht. Ich will damit nicht sagen, daß Rachel das nicht wert wäre. Ich möchte bloß nicht, daß du dich in sie verliebst, weil sie jemand braucht, der sich um sie kümmert, und weil dir die Leute ausgegangen sind, um die du dich kümmern kannst.«
»Darum geht es nicht«, widersprach er ruhig, obwohl er ahnte, daß das nicht ganz wahr war. Natürlich wollte er sich um Rachel kümmern, aber es gehörte zur Liebe, füreinander da zu sein. Außerdem hatte der Kuss heute morgen nur wenig mit ihrem Kummer und viel damit zu tun, wie sie sich in seinen Armen anfühlte.
Faith seufzte und verabschiedete sich. Er blieb im Hof stehen und sah dem Wagen nach, der die lange Auffahrt hinunterschau-kelte. Plötzlich wurde er nachdenklich. Es gab eine Menge, was er sich heute abend durch den Kopf gehen lassen musste : Rachel, Porchind und Rasmussen, die Möglichkeit, daß Wimsey die beiden für ihre Meinung über Geister bestrafen wollte.
Ein klagendes Heulen wehte mit der kühlen Brise heran. Er fuhr aus seinen Gedanken und lauschte mit angehaltenem Atem. Der Laut war wieder zu hören, schwach, aber deutlich. Er drehte sich um und lief quer über den Rasen darauf zu, ohne zu wissen, was ihn wohl erwarten mochte.
Addie wanderte vollkommen orientierungslos in dem überwucherten Irrgarten herum. Überall um sie herum standen große, unübersichtliche Büsche, deren Zweige sich zu einer zornigen Masse verschlangen und deren Blätter wütend raschelten. Die Büsche ragten hoch über ihr auf und warfen düstere Schatten auf den schmalen, unkrautbewachsenen Pfad.
Wütend und ängstlich war sie aus dem Haus gerannt, weil sie geglaubt hatte, daß die frische Luft ihr helfen würde, den Kopf klar zu bekommen, aber sie hatte sich prompt verlaufen. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie schon hier draußen war. Ihr kam es wie Stunden vor. Sie wusste auch nicht, wie weit sie gelaufen war. Sie wusste nur, daß ihr kalt war und daß Rachel das Haus verkaufen und mit ihr an einen Ort ziehen wollte, wo sie sich überhaupt nicht mehr zurechtfinden würde.
Sie hatte Rachels Gespräch mit diesen komischen kleinen Kerlen und danach ihren Streit mit Hennessy belauscht. Sie hatte Rachel eigentlich zur Rede stellen wollen, aber die Angst vor der Zukunft hatte sie einfach überwältigt, deshalb war sie statt dessen weggelaufen. Hier in Anastasia, wo man sie kannte, und in Drake House, wo sie sich meistens recht gut zurechtfand, war ihre Vergesslichkeit nicht ganz so schwer zu ertragen. Aber an einen Ort zu ziehen, wo alles fremd wäre, wo sie sich nicht auf ihre Erinnerungen berufen konnte, wo sie neue Gesichter kennenlernen und sich neue Wege merken müsste ...
Tränen stiegen ihr in die Augen und schnürten ihr die Kehle zu,
Weitere Kostenlose Bücher