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Rätselhafte Umarmung

Rätselhafte Umarmung

Titel: Rätselhafte Umarmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
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bezeichneten das als Apraxie. Wie auch immer, es war ein trauriger Anblick, der Rachel wieder einmal bewusst werden ließ, wie sehr sie ihre Rollen vertauscht hatten. Sie konnte sich noch genau erinnern, wie Addie ihr das lange Haar vor dem ersten Tag im Kindergarten geflochten hatte, wie sie selbst ganz still auf dem Drahtstuhl vor der Frisierkommode im Schlafzimmer ihrer Mutter gesessen und mit großen Augen in den Spiegel gestarrt hatte, während die Finger ihrer Mutter auf magische Weise ihre wilden Locken gebändigt hatten.
    »Mutter?« fragte sie leise und zwang sich, ins Zimmer zu treten, bevor ihr die Erinnerungen den Mut raubten. »Kann ich dir dabei helfen?«
    Addie starrte die Tochter an und überlegte, wie lange Rachel ihr wohl schon zugesehen hatte. »Kannst du nicht anklopfen?«
    »Es war offen.«
    Addie schnaubte. »Wimsey. Dieser alte, aufdringliche Trottel.«
    Rachel überging die eigenartige Bemerkung. Sie nahm eine Bürste von der unaufgeräumten Kommode, stellte sich hinter ihre Mutter und begann, das Haar zu kämmen, das einst so golden gewesen war wie ihres und inzwischen silbern geworden war.
    »Ich kann mich selbst frisieren«, wehrte sich Addie mit starrem Blick auf die beiden Frauen im Spiegel.
    »Das weiß ich doch. Ich möchte dir nur helfen. So wie du mir immer geholfen hast.«
    Ihre Blicke trafen sich im Spiegel, und Addies Herz setzte einen Schlag aus. Sie hatte alles für Rachel getan. Sie war ihr Mutter und Vater zugleich gewesen. Sie hatte ihre Tochter ohne jede Hilfe großgezogen. Sie hatte in zwei Jobs gleichzeitig gearbeitet und trotzdem immer genug Energie und Kraft gehabt. Jetzt stand diese Tochter hinter ihr und flocht ihr das Haar, weil sie plötzlich nicht einmal mehr eine so simple Aufgabe bewältigen konnte.
    »Ich glaube, ich trage das Haar heute offen«, verkündete sie und trat von der Frisierkommode weg. Im Spiegel sah sie Rachel mit immer noch erhobenen, nach ihr ausgestreckten Armen und der Bürste in der Hand. Der Blick ihrer Tochter verriet, wie verletzt sie war. Enttäuscht ließ Rachel die Arme sinken, als Addie sich noch einen Schritt von ihr entfernte.
    Addie entdeckte einen schwarzen Pullover am Fußende des Bettes und zog ihn verkehrt herum an. »Ich gehe jetzt frühstücken. Hennessy sollte den Toast inzwischen gemacht haben.«
    Rachel blieb vor der Kommode stehen und drehte die Bürste in den Händen. Ihre eben erst entdeckte Kraft war bereits wieder verflogen. »Warum läßt du dir nicht von mir helfen?« fragte sie leise. Aus ihrer Stimme sprach eine Verletztheit, die Mutter-Tochter-Beziehungen eigen ist - ein tiefer, scharfer Schmerz, als hätte man ihr eine Nadel ins Herz gestoßen.
    »Ich brauche keine Hilfe«, wiederholte Addie und streckte eigensinnig und stolz die knochigen Schultern durch. »Weder von dir noch von Wimsey noch von sonst jemandem. Ich bin bis jetzt auch ganz gut allein zurechtgekommen, wie du vielleicht weißt.«
    Mit diesen Worten ging sie aus dem Raum. Die Gummistiefel stampften über den Holzboden. Rachel schloss die Augen und zählte bis zehn, um ihre Gefühle und ihre Tränen wieder unter Kontrolle zu bringen.
    »Kein Glück?«
    Überrascht schaute sie auf und sah Bryan vor sich stehen. Sie schüttelte den Kopf, weil sie nicht wusste , was sie sagen sollte. Außerdem wusste sie nicht, ob sie überhaupt einen Ton herausgebracht hätte. Ihre Gefühle waren wie schlammiges, strudelndes Flutwasser, das kurz davor war, den Damm zu sprengen. Sie hatte die eigenartige Ahnung, daß sie in ihnen ertrinken würde, wenn sie ihnen freien Lauf ließe.
    »Du wirst es schon schaffen.« Bryan nahm ihr sanft die Bürste aus der Hand und legte sie beiseite. Dann schloss er Rachel in seine Arme, drückte sie an seine Brust und hauchte ihr Küsse ins Haar. »Es wird sich alles finden. Du wirst schon sehen.«
    Rachel ließ ihre Hände unter die alte Strickjacke wandern, die er aufgeknöpft trug. Ihre Arme schlangen sich um seinen schlanken Leib. Sie drückte die Wange an sein Chicago-Cubs-T-Shirt und spürte die beruhigend warmen, festen Muskeln unter dem weichen grauen Stoff. Sie hatte bemerkt, daß er nicht gesagt hatte, »la ss dir Zeit«. Die Zeit arbeitete gegen sie. Mit jedem Sandkörnchen im Stundenglas entschlüpfte ihnen Addie ein bisschen mehr. Aber er bot ihr seine Kraft und seinen Trost an, und dafür liebte sie ihn.
    »So, das reicht«, verkündete Bryan plötzlich und schob sie von sich weg. Seine Augen funkelten teuflisch. Verblüfft

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