Räuberbier
verheimlichte sie mir, ob wir einen Jungen oder ein Mädchen bekommen würden. Nach jedem Arztbesuch sagte sie, dass man das Geschlecht auf den Ultraschallbildern noch nicht erkennen konnte. Ich hatte keine Ahnung, warum sie das tat. Mir war es sowieso egal, Hauptsache es würde ein Junge werden.
Der Abend war okay. Während Stefanie in der Küche kochte, verlor ich beim Autorennen nur ganz knapp gegen Paul. Melanie hatte sich trotzig zurückgezogen und murmelte etwas davon, dass sie die strengsten Eltern im ganzen Universum hatte. Na ja, in 20 Jahren, wenn sie eigene Kinder hat, wird sich ihre Meinung wieder ändern. Auch das Essen verlief problemlos. Es war für jeden Geschmack etwas dabei. Bei mir war es die Flasche Bier, die ich dazu trank. Näheres würde ich Stefanie niemals verraten. So aß ich tapfer von dem saisonbedingt sauteuren Blumenkohl und verschmähte auch die Bratkartoffeln nicht. Nach dem Essen wollte meine Frau eine gemeinsame Runde Monopoly spielen, doch unsere Kinder zogen sich unter dem Vorwand totaler Müdigkeit zurück. Als mir dann Stefanie die Flasche Massageöl hinhielt, wusste ich Bescheid. Mit einer sanften Massage beendeten wir den Tag.
*
Der Sonntagmorgen begann mit einem Hechtsprung. Das konnte Paul noch einen Tick besser als Autorennen fahren. Gewöhnlich landete er bis spätestens halb sieben im freien Flug auf meinem gestählten Body. Dass der Body bis dahin tief schlief und über eine gefüllte Blase verfügte, das störte meinen Sohn niemals.
»Papa, der Monitor ist schon eingeschaltet. Komm endlich, du Verlierer.«
Stefanie gab ein leises Grunzen von sich und drehte sich auf die andere Seite. Ich gab Paul zu verstehen, dass wir möglichst leise das Schlafzimmer verlassen sollten. Es benötigte viel Überredungskunst, Paul beizubringen, dass wir um diese Zeit auf die Spielekonsole verzichten mussten, um den Rest der Familie nicht zu wecken. Nach einem kurzen Badbesuch wusste ich nichts mit der unfreiwillig gewonnenen Zeit anzufangen. Die Sonntagszeitung kam immer erst gegen neun, zur Frühstücksvorbereitung hatte ich keine Lust. So kam es, dass ich auf der Couch einschlief.
Pünktlich zum Frühstück wurde ich von Stefanie geweckt. »Guten Morgen, warum liegst du im Wohnzimmer? Habe ich geschnarcht?«
Ich brauchte einen Moment, bis ich wusste, warum ich hier lag und erklärte es meiner Frau.
Der Kaffee duftete, der Sonntag fing gut an. Wenn ich jetzt noch ein Stündchen Zeit für die Zeitungslektüre herausschinden könnte, dann wäre der Tag perfekt.
Die Türklingel läutete.
Stefanie sah erschreckt auf. »Schau du nach«, meinte sie, »wenn es deine Nachbarin wegen des Salzes ist, sei so gut und erschieß sie.«
Ich kannte meine Frau seit vielen Jahren. Beim letzten Satz war ich mir nicht hundertprozentig sicher, ob er ernst oder scherzhaft gemeint war. Ich setzte die Tasse ab und ging zur Haustür.
»Guten Morgen, Reiner!«, begrüßte mich meine Kollegin Jutta. »Frohe Weihnachten, übrigens. Habe ich dich geweckt?«
Ich versuchte zu verdrängen, dass der Besuch meiner Kollegin höchstwahrscheinlich beruflich veranlasst war. »Hat dich die Ackermann geschickt, um das Salz zu holen? Dann muss ich dich nämlich erschießen.«
Jutta stutzte. Sie schaute mir in die Augen und kam etwas näher. »Geht es dir gut, hast du um diese Uhrzeit schon getrunken?«
»Komm rein, Stefanie ist auch da.«
Nach einer kurzen Begrüßung und den üblichen Weihnachtswünschen reichte meine Frau unserem Besuch eine Tasse. »Du magst doch bestimmt einen Kaffee, oder?«
»Der ist für Jutta viel zu dünn«, antwortete ich an ihrer Stelle. Jutta und mein Lieblingskollege Gerhard tranken im Büro eigentlich nur ihren Sekundentod, der neben Kaffeepulver aus einer homöopathischen Dosis Wasser bestand.
»Das nächste Mal gerne, Stefanie«, antwortete sie. »Ich weiß, es ist Sonntag, aber ich muss deinen Mann leider trotzdem für ein paar Stunden entführen. Es ist sonst niemand erreichbar.«
Meine Frau wurde blass, ich ebenfalls. »Was ist passiert?«
»Ein unnatürlicher Todesfall in Ludwigshafen. Das Polizeipräsidium und die Kriminaldirektion in Ludwigshafen bitten um Amtshilfe, die meisten ihrer Beamten sind im Urlaub oder krank.«
»Und wir sollen ihre falsche Urlaubsplanung ausbügeln?«, erwiderte ich harscher, als ich wollte.
»So in etwa«, sagte Jutta. »KPD hat unsere vollste Unterstützung zugesagt. Er sagte mir, dass wir uns damit mal wieder über die Grenzen
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