RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
Morgen ein gutes Gefühl, und nun musste ich es mir nur noch auf dem Platz beweisen. Federer gelang ein guter erster Aufschlag weit auf meine Rückhand. Ich returnierte besser, als er erwartet hatte, tiefer. Er hatte sich darauf eingestellt, nach dem Aufschlag nach vorn zu gehen, um die Wucht seines Schlags durch den Vorwärtsschwung seines Körpers zu verstärken, aber mein Return erwischte ihn auf dem falschen Fuß, zwang ihn, zwei Schritte zurückzugehen, den Ball unangenehm hoch mit der Vorhand auf dem hinteren Fuß anzunehmen, was seine Schlagkraft allein auf den Arm einschränkte. Der Return war besser, als ich es bei einem so tiefen, schwierigen Aufschlag erwarten konnte, und brachte Federer auf Anhieb dazu, nachzudenken und sich umzustellen.
Seinen mühelosen Rhythmus brechen, ihn in die Ecke treiben – das muss ich bei Federer machen, immer. Dies hatte Toni mir geraten, als ich zum ersten Mal vor fünf Jahren gegen Federer in Miami angetreten war: »Mit Talent und mit brillanten Schlägen allein wirst du ihn nicht besiegen. Er wird immer besser imstande sein als du, aus nichts einen Gewinnschlag zu machen. Darum musst du ihn ständig unter Druck setzen, zwingen, am äußersten Rand seiner Möglichkeiten zu spielen.« Dieses erste Match in Miami hatte ich zwar 6:3, 6:3 gewonnen, aber Toni hatte dennoch Recht. Federers Aufschlag und auch sein Volley ist besser als meiner; seine Vorhand ist wahrscheinlich entschiedener als meine, und das gilt eindeutig auch für seinen Rückhand-Slice und für seine Positionierung auf dem Platz. Nicht ohne Grund stand er seit fünf Jahren auf Platz eins der Weltrangliste, während ich seit vier Jahren die Nummer zwei war. Zudem hatte Federer in den vorangegangenen Jahren fünf Mal in Folge Wimbledon gewonnen. Der Platz gehörte ihm praktisch. Mir war klar, dass ich ihn mental schlagen musste, wenn ich gewinnen wollte. Gegen Federer war es entscheidend, nie nachzulassen und vom ersten bis zum letzten Punkt zu versuchen, ihn müde zu machen.
Federer schlug meinen ersten unangenehmen Return gut zurück auf meine Rückhand, und ich versuchte, den Ball wieder auf seine Rückhand zu spielen – also meine geplante Spieltaktik gleich von Anfang an umzusetzen –, aber er umlief den Ball und nahm ihn mit der Vorhand an. Nun lag die Initiative allerdings bei mir. Ich stand in der Platzmitte, und er musste weiter nach außen drängen. Er spielte eine Vorhand auf meine Rückhand, allerdings nicht allzu tief. Das erlaubte mir, den Ball gerade und tief an der Linie entlang zu spielen, sodass er diesmal keine Chance hatte, die Rückhand zu umlaufen. Als Federer den Ball diagonal hinüber auf meine Vorhand spielte, sah ich eine Chance, einen Gewinnschlag zu versuchen. Da er wieder mit einer Ballannahme auf der Rückhand rechnete, drosch ich den Ball in seine Vorhandecke. Er traf knapp innerhalb der Grundlinie auf und sprang hoch, weit außer Reichweite für ihn.
Ein solch erster Punkt verleiht Selbstvertrauen. Man fühlt sich in Einklang mit dem Bodenbelag und hat den Eindruck, den Ball zu kontrollieren, statt von ihm beherrscht zu werden. Bei jedem einzelnen meiner sieben Schläge in diesem Ballwechsel hatte ich den Ball kontrolliert. Das verlieh mir innere Ruhe. Die Nerven arbeiten für, nicht gegen dich. Genau das braucht man zu Beginn eines Wimbledonfinales.
Etwas ist bemerkenswert an Wimbledon: Trotz der Bedeutung dieses Turniers und der immens hohen Erwartungen, die es hervorruft, ist es von allen Turnieren dasjenige, bei denen es mir am besten gelingt, mich zu Hause zu fühlen. Statt in einer geräumigen Hotelsuite – manche Hotels, in denen man mich unterbringt, sind so übertrieben extravagant, dass ich lachen muss – wohne ich in einem gemieteten Haus gegenüber vom All England Club. Es ist nicht sonderlich schick, sondern ganz normal, aber mit seinen drei Etagen groß genug für meine Familie, mein Team und Freunde, die zum Essen kommen oder dort übernachten. Das sorgt für eine völlig andere Atmosphäre als bei allen anderen Turnieren. Statt isoliert in unseren Hotelzimmern zu sitzen, haben wir einen gemeinsamen Raum, statt in einem offiziellen Wagen durch die Stadt zum Tennisplatz fahren zu müssen, brauchen wir nur zwei Minuten zu Fuß und sind schon da. In unserem Haus müssen wir uns selbst mit Essen versorgen. Wenn ich kann, gehe ich in den Supermarkt und kaufe mir Dinge, von denen ich meist zu viel esse: Nuss-Nugatcreme, Kartoffelchips und Oliven. Was gesunde
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