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RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)

RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)

Titel: RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Carlin , Rafael Nadal
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ständig, auf dem Tennisplatz selbstständig zu denken. In den Medien gab es Berichte, die behaupteten, Toni habe mich gezwungen, linkshändig zu spielen, weil es dadurch schwieriger würde, gegen mich zu spielen. Das stimmt nicht. Diese Geschichte haben die Medien erfunden. In Wahrheit fing ich mit dem Tennisspielen an, als ich noch sehr klein war, und da ich nicht stark genug war, den Ball über das Netz zu schlagen, hielt ich den Schläger sowohl bei der Rückhand als auch bei der Vorhand mit beiden Händen. Eines Tages sagte mein Onkel: »Es gibt keine Profispieler, die beidhändig spielen, und da wir nicht die ersten sein werden, musst du das ändern.« Das tat ich, und für mich war es ganz natürlich, mit Links zu spielen. Warum das so war, kann ich nicht sagen. Ich schreibe mit Rechts und spiele auch mit der rechten Hand Basketball oder Golf. Im Fußball spiele ich jedoch mit Links, weil mein linker Fuß stärker ist als der rechte. Manche behaupten, dadurch sei ich bei der beidhändigen Rückhand im Vorteil, was durchaus stimmen mag. Mehr Gefühl und Kontrolle in beiden Händen zu haben als die meisten anderen Spieler muss sich vor allem bei Cross-Schlägen zu meinen Gunsten auswirken, bei denen ein bisschen zusätzliche Kraft durchaus hilfreich ist. Aber diese Spielweise war kein genialer Einfall von Toni. Die Vorstellung, dass er mich hätte zwingen können, auf eine Art zu spielen, die mir nicht von Natur aus entsprach, ist schlichtweg Unsinn.
    Doch Toni war tatsächlich streng mit mir. Meine Mutter erinnert sich, dass ich als Kind manchmal weinend vom Training kam. Wenn sie herauszufinden versuchte, was los war, schwieg ich. Einmal gestand ich ihr, dass Toni die Angewohnheit hatte, mich als »Muttersöhnchen« zu bezeichnen, was sie kränkte, aber ich bat sie, Toni nichts zu sagen, weil das alles nur schlimmer gemacht hätte.
    Toni ließ niemals locker. Als ich mit sieben Jahren anfing, an Wettkämpfen teilzunehmen, wurde es noch härter. An einem besonders heißen Tag ging ich ohne Wasserflasche zum Match, weil ich sie zu Hause vergessen hatte. Er hätte mir ohne weiteres eine Flasche kaufen können, tat es aber nicht. Ich sollte lernen, Verantwortung zu übernehmen, erklärte er mir. Warum rebellierte ich nicht? Weil Tennis mir Spaß machte, umso mehr, als ich anfing zu gewinnen, und weil ich ein fügsames, gehorsames Kind war. Meine Mutter meint, ich sei zu leicht zu beeinflussen. Das mag sein, aber wenn ich Tennisspielen nicht gemocht hätte, hätte ich mich meinem Onkel nicht so untergeordnet. Zudem mochte ich ihn sehr und werde ihn immer mögen. Ich vertraute ihm, daher wusste ich doch tief im Inneren, dass er tat, was er für das Beste für mich hielt.
    Ich vertraute ihm so sehr, dass ich jahrelang die hochtrabenden Geschichten glaubte, die er mir über seine sportlichen Leistungen erzählte, dass er beispielsweise die Tour de France gewonnen oder als Fußballspieler in Italien Karriere gemacht hätte. Als ich klein war, war mein Vertrauen in ihn so groß, dass ich ihm sogar übernatürliche Kräfte zutraute. Erst als ich neun Jahre alt war, hörte ich auf zu glauben, er sei ein Zauberer, der sich unter anderem unsichtbar machen könne. Bei Familientreffen spielten mein Vater und mein Großvater gern mit und taten beide so, als ob sie ihn nicht sähen. Daher glaubte ich, nur ich könne ihn sehen, andere aber nicht. Toni redete mir sogar ein, er könne Regen machen.
    Als ich sieben Jahre alt war, trat ich gegen einen Zwölfjährigen an. Wir rechneten uns keine sonderlichen Chancen aus, daher erklärte Toni mir vor dem Match, wenn ich 0:5 zurückläge, würde er für Regen sorgen, damit das Spiel abgebrochen würde. Allerdings verlor er das Vertrauen in mich schon sehr früh, wie ich es damals feststellen musste. Denn es fing bereits an zu regnen, als ich erst 0:3 zurücklag. Da ich die beiden nächsten Spiele gewann, fasste ich sofort wieder Vertrauen in meine Chancen auf einen Sieg. Beim Seitenwechsel und einem Stand von 2:3 ging ich zu meinem Onkel und sagte: »Ich glaube, du kannst den Regen jetzt aufhören lassen. Ich denke, ich kann den Jungen schlagen.« Zwei Spiele später hörte der Regen tatsächlich auf. Letztlich verlor ich mit 5:7. Es mussten noch zwei weitere Jahre vergehen, bevor ich aufhörte, meinen Onkel für einen Regenmacher zu halten.
    In meiner Beziehung zu Toni gab es also durchaus Spaß und Magie, auch wenn sie beim Training überwiegend von Härte und Strenge geprägt war.

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