RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
laufendem Fernseher. Gewitter mag er auch nicht. Als Kind versteckte er sich dann unter einem Kissen, und selbst heute lässt er nicht zu, dass man bei Gewitter hinausgeht, wenn man etwas von draußen holen muss. Und dann sind da seine Essgewohnheiten, seine Abneigung gegen Käse, Tomaten und Schinken, dem Nationalgericht Spaniens. Ich selbst bin auch nicht so verrückt nach Schinken wie offenbar die meisten, aber Käse? Es ist schon ein bisschen merkwürdig.«
Nicht nur beim Essen ist er heikel, sondern auch am Steuer eines Wagens. Nadal fährt gern, allerdings wohl lieber in der Scheinwelt seiner Playstation, die ihn unterwegs ständig begleitet, als in einem echten Auto. »Er ist ein vorsichtiger Fahrer«, erklärt seine Mutter. »Er beschleunigt, bremst, beschleunigt, bremst, und ist schrecklich vorsichtig beim Überholen, so stark sein Auto auch sein mag.«
Seine Schwester Maribel, die sich unverblümter äußert als ihre Mutter, bezeichnet Rafael als »furchtbaren Fahrer«. Sie findet auch merkwürdig, dass er das Meer zwar mag, aber auch Angst davor hat. »Ständig überlegt er, sich ein Boot zu kaufen. Er angelt gern und fährt gern Jetski, allerdings nur da, wo er den Grund sehen kann: Beim Schwimmen genauso, er springt auch nicht von einer hohen Klippe ins Meer, wie seine Freunde es ständig tun.«
Aber alle diese Schwächen sind nichts im Vergleich zu seiner andauernden Sorge, dass seiner Familie etwas zustoßen könnte. Nicht nur bei den geringsten Krankheitsanzeichen innerhalb der Familie gerät er in Panik, sondern lebt auch in ständiger Angst, dass einer seiner Verwandten einen Unfall haben könnte. »Ich mache fast jeden Abend das Kaminfeuer an«, erzählt seine Mutter; in ihrem großen, modernen Haus am Meer bewohnt er einen Flügel mit eigenem Schlafzimmer, Wohnzimmer und Bad. »Wenn er ausgeht, ermahnt er mich immer, das Feuer zu löschen, bevor ich mich schlafen lege. Und dann ruft er dreimal aus dem Restaurant oder der Bar an, in der er gerade ist, um sich zu vergewissern, dass ich es auch ausgemacht habe. Wenn ich mit dem Auto nach Palma fahre – eine halbe Stunde Fahrt –, bittet er mich immer, langsam und vorsichtig zu fahren.«
Ana María, eine kluge, starke, mediterrane Matriarchin, wundert sich immer wieder, wie mutig er auf dem Tennisplatz ist und wie ängstlich jenseits des Platzes. »Auf den ersten Blick ist er ein geradliniger und auch ein sehr guter Mensch«, erklärt sie, »aber er ist auch voller Zwiespältigkeiten. Wenn man weiß, wie er tief im Inneren ist, gibt es Dinge an ihm, die einfach nicht dazu passen wollen.«
Aus diesem Grund muss er sich bei der Vorbereitung auf ein wichtiges Match mit Mut wappnen und sich mit seinen ritualisierten Abläufen in der Umkleidekabine zu einer Persönlichkeitsänderung zwingen, seine innersten Ängste und die Nervosität des Augenblicks in den Griff bekommen, bevor er den Gladiator in sich freisetzen kann.
Für die Zuschauermenge war der Mann, der für das Wimbledonfinale 2008 aus der Umkleidekabine auf den Centre Court kam, Superman; für seine engsten Vertrauten war er zugleich auch Clark Kent. Der eine war ebenso real wie der andere; vielleicht war der eine sogar auf den anderen angewiesen. Benito Pérez Barbadillo, seit Dezember 2006 Nadals Pressesprecher, ist überzeugt, dass Rafaels Unsicherheiten seinen Kampfgeist schüren und seine Familie ihm jene wichtige Zuneigung und Unterstützung gibt, die notwendig sind, um seine Ängste in Schach zu halten. Pérez war zehn Jahre bei der Association of Tennis Professionals (ATP) tätig, bevor er Nadals Pressesprecher wurde, und lernte in dieser Zeit die meisten Spitzenspieler kennen, manche sogar sehr gut. Nach seiner Ansicht unterscheidet Nadal sich sowohl als Spieler wie auch als Mensch von allen anderen: »Die einzigartige mentale Stärke, das Selbstbewusstsein und der Kampfgeist sind die Kehrseite der Unsicherheit, die ihn antreibt. Sämtliche Ängste – vor Dunkelheit, Gewittern, dem Meer oder familiären Katastrophen – folgen einem zwingenden Bedürfnis. Er ist ein Mensch, der alles unter Kontrolle haben muss«, erklärt Pérez, »da das aber unmöglich ist, investiert er alles, was er hat, in die Kontrolle über den einen Teil seines Lebens, auf den er den größten Einfluss hat: Rafa, den Tennisspieler.«
DAS
DYNAMISCHE
DUO
KAPITEL 2
Der erste Punktgewinn ist immer wichtig, zumal in einem Wimbledonfinale. Ich fühlte mich bestens, hatte schon den ganzen
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