RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
Worte, aber Maymó – oder Titín, wie Nadal ihn mit einem Spitznamen ohne weitere Bedeutung liebevoll nennt – hat erkennen gelernt, wann die Zeit reif ist, etwas zu sagen oder zuzuhören. Seine Rolle hat Ähnlichkeit mir der des Pferdepflegers eines reinrassigen Rennpferds. Er massiert Nadals Muskeln, bandagiert seine Gelenke, beschwichtigt sein spannungsgeladenes Temperament. Maymó ist Nadals Pferdeflüsterer.
Maymó kümmert sich um Nadals psychische und physische Bedürfnisse, aber er kennt seine Grenzen: Er weiß, dass seine Möglichkeiten dort enden, wo die der Familie anfangen, denn die Familie ist die Stütze, die Nadal als Mensch und Sportler trägt. »Man kann die Bedeutung der Familie für sein Leben gar nicht genug betonen«, erklärt Maymó. »Oder die Verbindung zwischen ihm und seiner Familie. Jeder Erfolg Rafas ist uneingeschränkt ein Erfolg der ganzen Familie. Die Eltern, die Schwester, die Onkel, Tanten und Großeltern, sie alle handeln nach dem Grundsatz: einer für alle und alle für einen. Sie genießen seine Siege und leiden bei seinen Niederlagen. Sie sind wie ein Teil von ihm, wie ein verlängerter Arm Rafas.«
Nach Maymós Ansicht kommen viele seiner Familienmitglieder so häufig zu seinen Matchs, weil ihnen klar ist, dass er ohne sie nicht hundertprozentig funktionsfähig ist. »Es ist keine Pflicht. Sie müssen einfach da sein. Sie haben den Eindruck, gar keine andere Wahl zu haben. Aber sie haben auch das Gefühl, dass seine Erfolgsaussichten zunehmen, wenn er vor Matchbeginn zu den Zuschauern hinaufschaut und sie dort sieht. Wenn er einen großen Sieg erringt, springt er daher instinktiv auf die Tribüne und umarmt sie; und wenn einige zu Hause fernsehen, ruft er sie als Erstes von der Umkleidekabine aus an.«
Sein Vater, Sebastián Nadal, erlebte beim Wimbledonfinale 2008 auf dem Centre Court die zermürbendsten Momente seines Lebens. Die Erinnerungen an das, was nach dem Endspiel 2007 ebenfalls gegen Federer passiert war, nagten an Sebastián ebenso wie an den anderen aus Nadals Familie. Sie alle wussten, wie Rafael auf diese Niederlage nach fünf Sätzen reagiert hatte. Sebastián hatte ihnen die Szenen in der Umkleidekabine in Wimbledon geschildert: Eine halbe Stunde lang hatte Rafael, ein Bild der Verzweiflung, in der Dusche auf dem Boden gehockt, sich das Wasser auf den gesenkten Kopf prasseln lassen, und seine Tränen hatte sich mit dem Wasser vermischt.
»Ich hatte solche Angst vor einer weiteren Niederlage – nicht meinetwegen, sondern wegen Rafael«, erklärte Sebastián, ein großer Mann, der im Berufsleben ein ruhiger, zuverlässiger Unternehmer ist. »Das Bild, wie er nach dem Endspiel von 2007 geschlagen und völlig eingefallen dasaß, hatte sich mir eingebrannt, das wollte ich nicht noch einmal erleben. Und ich dachte, wenn er verliert, was kann ich dann bloß tun, um es für ihn weniger traumatisch zu machen? Das war für Rafael das Spiel seines Lebens, der größte Tag. Es war schrecklich. Noch nie habe ich so gelitten.«
Alle Menschen, die Nadal nahe standen, litten an diesem Tag ebenso wie Sebastián. Alle sahen den weichen, verletzlichen Kern unter der harten Schale des Kämpfers.
Nadals fünf Jahre jüngere Schwester, Maribel, eine schlanke, gut gelaunte Studentin, amüsiert sich über die Kluft zwischen der Art, wie die Öffentlichkeit ihren Bruder wahrnimmt und wie sie ihn kennt. Ihr überfürsorglicher großer Bruder ruft sie zehnmal täglich an oder schickt ihr SMS, wo immer er auch gerade auf der Welt sein mag, und bei den kleinsten Anzeichen, dass sie krank werden könnte, gerät er in helle Aufregung. »Als er einmal in Australien war, empfahl mir mein Arzt, einige Untersuchungen durchführen zu lassen – nichts Ernstes –, aber in allen Nachrichten, die ich mit Rafael austauschte, war es das Einzige, was ich nicht erwähnte. Es hätte ihn vor Sorge verrückt gemacht; es hätte ihn völlig aus dem Gleichgewicht gebracht«, erzählt Maribel, deren Stolz auf die Leistungen ihres Bruders sie keineswegs blind macht für »die Wahrheit«, die sie mit liebevoller Hänselei ausdrückt: Er ist »ein bisschen ein Angsthase«.
Nadals Mutter, Ana María Parera, widerspricht dem nicht: »In der Tenniswelt gehört er zur Spitze, aber tief im Inneren ist er ein überaus sensibler Mensch voller Ängste und Unsicherheiten, die sich Leute, die ihn nicht kennen, kaum vorstellen können. Er mag zum Beispiel die Dunkelheit nicht und schläft lieber bei Licht oder
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