Rage Zorn
in den Regalen hinter seinem Schreibtisch waren von Familienfotos aufgelockert. Sein Schreibtisch war aufgeräumt.
Sie hoffte, dass die Szene tatsächlich so unschuldig war, wie sie wirkte.
Sobald sie sich auf seinen Arbeitsstuhl gesetzt hatte, begann sie mit der Suche. Alle Schubladen waren verschlossen, aber sie hatte nichts anderes erwartet und war deshalb gut vorbereitet gekommen. Mit einer verbogenen Haarklemme lieÃen sich die Schlösser problemlos öffnen.
Dass sie einen Babysitter organisiert hatte, entsprach der Wahrheit. Sie hatte sich sorgfältig frisiert und angezogen, weil sie gehofft hatte, Brad zu einem spontanen Abendessen entführen zu können â um die Szene von heute Morgen wieder gutzumachen.
Den ganzen Tag über musste sie immer wieder an ihren Streit denken. Brad war wütend aus dem Haus gestürmt. Sie war gleichermaÃen verletzt wie zornig gewesen. Die Hausarbeit, das Kochen und die unzähligen anderen Aufgaben, die ihre Tage ausfüllten, hatten sie auf Trab gehalten. Aber immer wieder waren ihre Gedanken zu dem morgendlichen Streit und der winzigen Möglichkeit zurückgekehrt, dass sie ihm Unrecht getan haben könnte.
Und wenn Brad gestern Abend wirklich bei seinem Finanzseminar gewesen war?
Vielleicht hatte sie unberechtigt einen Streit vom Zaun gebrochen. Falls er die Wahrheit gesagt hatte, musste es unendlich frustrierend für ihn sein, dass sie das Schlimmste annahm, obwohl er sie mit aller Kraft zu überzeugen versucht hatte.
Natürlich war die Chance, dass er ein Seminar besucht und hinterher Bier trinken gegangen war, äuÃerst gering, aber um ihre Familie zusammenzuhalten, war sie gewillt, auf diese Chance zu setzen.
Darum hatte sie gehofft, ihn heute Nachmittag in seiner Praxis abfangen zu können, und zwar mit einer angenehmen Ãberraschung oder besser einem Olivenzweig in Gestalt einer Tischreservierung in einem italienischen Restaurant, das er schon länger ausprobieren wollte. Sie hatte sich gewünscht, Vergebung für
ihr voreiliges Urteil zu erwirken und die hässliche Episode abhaken zu können, indem sie einen Abend mit ihm allein verbrachte, weitab von Heim und Herd, mit einer Flasche Wein und einer anschlieÃenden Liebesnacht.
Aber er war nicht dort, wo er sein sollte. Er hatte seine Praxis vorzeitig verlassen, ohne jemandem mitzuteilen, wohin er ging. Es war ein wohlbekanntes Muster, ein erkennbares Signal, bei dem ihr das Herz schwer wurde und das ihr das Recht gab, die Schlösser am Schreibtisch ihres Mannes zu knacken.
Wenige Sekunden später sah sie ihren Verdacht bestätigt. In der untersten Schublade seines Schreibtisches lag eine Schatztruhe voller Pornos.
Das Material reichte von relativ milden bis zu extrem deutlichen Darstellungen. Bei einigen der schlimmsten Bilder, in Thematik wie Ausführung, handelte es sich eindeutig um Amateuraufnahmen.
Brad war ein Süchtiger. Wie alle Süchtigen lief er ständig Gefahr, in einen Rausch zu geraten. Und während dieses Rausches war ein Süchtiger dazu fähig, Dinge zu tun, vor denen er sonst zurückschrecken würde â etwa eine Mitarbeiterin zu bedrängen oder eine minderjährige Patientin zu befummeln.
Und zu weià Gott was sonst noch.
12
Als Dean nach Hause kam, lag eine nasse Badehose auf dem Boden der Waschküche. Gavin selbst lungerte auf dem Sofa im Medienraum herum. Er hämmerte lustlos mit dem Finger auf die Fernbedienung, alle zehn Sekunden den Sender wechselnd. Er trug nichts als ein Handtuch um die Hüfte, und seine Haare trieften.
»Hi, Gavin.«
»Hi.«
»Warst du im Pool?«
Ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen, erwiderte er: »Nein, ich sitze bloà gern im Handtuch rum.«
»Wenn du das nasse Handtuch in die Waschküche bringst, kannst du gleich deine Badehose vom Boden aufheben.«
Gavin drückte sich durch ein paar weitere Sender.
Dean sagte: »Geh duschen, dann gehen wir essen.«
»Ich bin nicht hungrig.«
»Geh duschen, dann gehen wir essen«, wiederholte er.
»Und wenn nicht, dann schlägst du mich wieder?«
Offenbar lieà der Blick, den Dean ihm zuwarf, keinen Zweifel daran, dass seine Geduld gefährlich strapaziert war. Gavin lieà die Fernbedienung fallen und trottete aus dem Zimmer. Kurz bevor er hinter der Tür verschwand, zog er das Handtuch weg und zeigte Dean den blanken Hintern, im wörtlichen wie
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