Ramses 4 - Die Herrin von Abu Simbel
weniger nützlich, als ihn das Fischen zu lehren.
Außerdem wollte er unter Beweis stellen, wie geschickt er es verstand, mit einem Stock ins Wasser zu schlagen und dadurch seine Beute in das Netz zu treiben, das sein Freund, der ebenso hungrig war wie er, zwischen hohen Papyrusstauden spannte.
Plötzlich sah er die Boote.
Eine ganze Flotte kam von Norden her, allen voran ein Schiff, an dessen Bug ein goldener Sphinx prangte. Ja, das mußte das Schiff des Pharaos sein.
Fische und Netz vergessend, schwamm der Knabe ans Ufer, um im Dorf die frohe Kunde zu verbreiten. Das verhieß ein tagelanges Fest.
Die große Säulenhalle des Tempels von Karnak erstrahlte in ihrer ganzen Pracht. Die zwölf an die fünfzig Ellen hohen Pfeiler im mittleren Teil symbolisierten die aus dem Urmeer aufsteigende Kraft der Schöpfung.
Hier schritt Nebou, der Oberpriester des Amun, auf seinen vergoldeten Stock gestützt, dem Herrscherpaar entgegen. Trotz seiner Gliederschmerzen gelang es ihm, sich zu verneigen.
Ramses half ihm, sich wieder aufzurichten.
«Ich freue mich, dich wiederzusehen, Majestät, und bin entzückt, die Königin bewundern zu können.»
«Wirst du etwa noch ein vollkommener Höfling, Nebou?»
«Dazu besteht keinerlei Hoffnung mehr, Majestät. Ich werde weiterhin sagen, was ich denke, wie ich es soeben getan habe.»
«Wie geht es deiner Gesundheit?»
«Mir bleibt nichts anderes übrig, als mich mit dem Alter abzufinden, auch wenn mir meine Gelenke Pein bereiten, aber der Heilkundige des Tempels gibt mir ein Mittel aus Weidenblättern, das mir Linderung verschafft. Ich muß indes gestehen, daß ich kaum Zeit habe, über mein Wohlergehen nachzudenken… Du hast mir eine so schwere Pflicht auferlegt.»
«Nach den Ergebnissen zu urteilen, habe ich allen Grund, mit meiner Wahl zufrieden zu sein.»
Achtzigtausend Bedienstete, denen der Oberpriester ihre Aufgaben zuteilte, nahezu eine Million Stück Vieh, hundert Lastkähne, an die fünfzig Baustätten, riesige Flächen Acker-und Weideland, Haine, Gärten und Weinberge bildeten die Welt von Karnak, das reiche Gebiet Amuns.
«Am schwierigsten ist es, Majestät, die Bemühungen aller Schreiber miteinander in Einklang zu bringen… Ohne strenge Führung würde hier schnell Chaos ausbrechen und jeder nur noch an seinen eigenen Vorteil denken.»
«Dein Sinn für den weisen Umgang mit Menschen vollbringt Wunder.»
«Ich kenne nur zwei Tugenden: Gehorchen und Dienen. Alles Weitere ist bloßes Gerede, und dazu hat man in meinem Alter keine Zeit mehr.»
Ramses und Nefertari bewunderten nacheinander die einhundertvierunddreißig Säulen, die mit Darstellungen und Namen von Göttern verziert waren sowie mit dem immer wiederkehrenden Bildnis des Pharaos, der ihnen Opfer darbrachte. Geformt wie Pflanzenstengel, denen der Stein Ewigkeit verlieh, verbanden die Pfeiler den Boden, das Symbol für die Urfeuchtigkeit, mit der blau bemalten Decke, an der goldene Sterne funkelten.
Wie Sethos es gewünscht hatte, sollte die große Säulenhalle von Karnak bis in alle Zeit dem Ruhm des verborgenen Gottes Ausdruck verleihen und zugleich seine Geheimnisse offenbaren.
«Legst du in Theben nur kurze Rast ein», fragte Nebou,
«oder darf sich die Stadt auf einen längeren Aufenthalt des Königspaares freuen?»
«Um Ägypten zum Frieden zu führen, muß ich den Göttern Genüge tun», antwortete Ramses. «Ich muß ihnen Tempel bauen, in denen sie gern wohnen, und mein sowie Nefertaris Haus für die Ewigkeit vollenden. Sobald sie es für richtig erachten, werden sie das Leben, das sie in unsere Herzen gelegt haben, wieder von uns nehmen. Also müssen wir darauf vorbereitet sein, vor ihnen zu erscheinen, damit das Volk Ägyptens unter unserem Tod nicht zu leiden habe.»
In der Stille des Naos von Karnak weckte Ramses den Gott und pries seine Gegenwart.
«Sei gegrüßt, du, der das Leben, die Götter und die Menschen hervorbringt, der Schöpfer Ägyptens und weitentfernter Länder, der den Fluß über die Ufer treten und die Weiden ergrünen läßt. Jedes Wesen ist von deiner Vollkommenheit erfüllt.»
Karnak erwachte.
Das Tageslicht verdrängte den Schein der Öllampen, die Ritualpriester schöpften Wasser aus dem heiligen See, verbrannten in den Kapellen Weihrauch und schmückten die Altäre mit Blumen, Früchten, Gemüse und frischem Brot.
Dann brachten sie die Opfergaben herbei, mit denen der Maat gehuldigt wurde. Sie allein ließ alle Formen des Lebens neu erstehen und
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