Rangun
blieb Lysistrata atemlos stehen, wobei ihr Haar über einem Auge hing. Sie machte kehrt, um davonzujagen, irgendwohin, weg von dem da...
Bevor sie zwei Schritte gemacht hatte, legte sich Harleys Hand hart um ihren Arm und wirbelte sie herum. »Wir sehen uns wieder, Miß Herriott.« Seine Stimme war ruhig und beherrscht, aber sie hatte jetzt mehr Angst vor ihm als auf der Veranda.
Evelyn Chilton schien überhaupt nicht aufgeregt. »Sie haben unser kleines Geheimnis entdeckt, Miß Herriott«, sagte sie mit amüsiertem Lachen. »Mein Mann ist kein Tänzer, wie Sie heute abend festgestellt haben werden. Mr. Harley war so freundlich, mich vor Vernachlässigung zu bewahren.«
Diese besonders kühne, unverschämte Lüge weckte Lysistratas Zorn. »Für eine vernachlässigte Frau scheinen Sie wenig Staub angesammelt zu haben, Mrs. Chilton«, schnappte sie.
Evelyn blickte verwirrt drein und lachte dann. »Meine Liebe, ein schöneres Kompliment ist mir selten gemacht worden.« Ihr Tonfall wurde verschwörerisch. »Mir ist klar, wie das auf Sie wirken muß, aber ich versichere Ihnen, es ist völlig unschuldig. Unter einem so herrlichen Mond ist eine Frau versucht, steifen Anstand für einen Moment zu vergessen.« Sie winkte fröhlich ob Lysistratas Zustand. »Ich darf doch auf ihre Verschwiegenheit hoffen?«
»Ihre Angelegenheiten gehen mich nichts an, Mrs. Chilton«, sagte Lysistrata kalt. »Ich will nichts damit zu tun haben.« Sie warf Harley einen schneidenden Blick zu. »Darf ich gehen oder muß ich schreien?«
»Richard«, fiel Evelyn weich ein. »Ich denke, Sie sollten Miß Herriott besser aus dem Labyrinth bringen. In ihrem nervösen Zustand nimmt sie vielleicht den falschen Weg.«
»Ich bin nicht nervös«, schoß Lysistrata zurück, »und ich bin durchaus imstande, den Weg allein zu finden.«
»Das wird etwas dauern«, sagte Harley, und dann ruhiger: »Sind Sie sicher, daß Sie länger als nötig suchen wollen?«
Ernüchtert verstand sie, was er meinte. Sie wußten, daß sie sich völlig verirrt hatte. »Also gut«, erwiderte sie kurz. Harley reichte ihr seinen Arm und sie funkelte ihn an, als wünsche sie sich, eine Axt zu haben. Mit leichtem Lächeln und gelangweilter Geste trat er zurück und wies ihr den Weg. Ihr wurde nur schwach bewußt, daß sie ihr einziges Paar Schuhe zurückließ, als sie vor ihm hermarschierte.
»Sie hatten einen ereignisreichen Abend, Miß Herriott«, stellte Harley fest, nachdem sie ein Stück gegangen waren.
»Sie meinen, ich sei Ihnen gefolgt ?« fauchte sie. »Bilden Sie sich bloß nichts ein!«
»Welchen anderen Grund sollten Sie gehabt haben, Ihre Schuhe abzulegen?« entgegnete er. »Sie sind eben ein Bluthund, der barfuß herumläuft.«
»Oh, halten Sie den Mund, Sie schrecklicher Mann!«
Er drehte sich um. »Ich fürchte, man muß sich Ihres Schweigens versichern.«
Erschreckt wich sie zurück.
»Sie täten besser daran, nicht davonzulaufen«, riet er ihr milde. »Ich kenne das Labyrinth. Sie nicht. Und je länger Sie hier drin sind, desto schlimmer wird es für Sie sein.«
»Was meinen Sie damit?« fragte sie mit bebender Stimme. »Wenn Sie mich anfassen, schreie ich!«
»Das wäre unklug. Wenn Sie das tun oder auch nur flüstern, daß Sie Evelyn allein mit mir gesehen haben, wird sie einfach sagen, daß Sie diejenige in flagrante delicto waren.« Er musterte ihr kurzes Oberteil, ihr gelöstes Haar und ihre nackten Füße. »In Ihrem derzeitigen Zustand sind Sie nicht in der Position, das zu widerlegen.«
»Sie würden eine Frau beschützen, indem Sie eine andere kompromittieren - eine völlig Unschuldige?« Sie war bestürzt.
»Evelyn ist eine Generalsfrau«, erinnerte er sie ruhig.
»Und ich bin keine«, fauchte sie. »Im Notfall zu opfern.«
»Miß Herriott«, erwiderte er geduldig, »wie ich Ihnen zuvor schon sagte, dies ist nicht Boston. Es ist schon schlimm genug, wenn ein Europäer und eine Frau unter fragwürdigen Umständen in Verbindung gebracht werden, aber wenn ein Mann ein Farbiger ist...« Er zuckte die Schultern.
»Aber Ihr Vater war Engländer«, protestierte sie.
Nach langem Schweigen seufzte er. »Lysistrata Herriott, Ihre Naivität ist bestürzend.«
Sie reckte rebellisch ihren Kiefer vor. »Ich bin nicht naiv genug, um mich von einer Lügnerin und einem Wüstling einschüchtern zu lassen!«
Wieder herrschte langes Schweigen. »Ach, Lysistrata, Sie hätten nicht nach Rangun kommen sollen«, sagte er matt und bewegte sich dann auf sie zu.
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