Rangun
Übertreibung, meinen Sie nicht?« Harley verschwand in der Dunkelheit.
Lysistrata suchte fast eine Stunde, ohne ihren Vater zu finden. Lighter mußte ihn in einen Rauchsalon geschleppt haben, wo sie entweder über Chirurgie sprachen oder sich mit anderen Männern unterhielten. In ein Gespräch vertieft, verlor ihr Vater leicht jedes Zeitgefühl. Sie wollte nicht ins Haus zurückkehren, um nach ihm zu suchen, da sie fürchtete, Wa Sing zu begegnen. Sie hatte wie ihr Vater nicht viele Freunde in Boston gehabt. Ihn um die Gelegenheit zu bringen, neue zu finden, wäre egoistisch gewesen. Dennoch war sie den Tränen nahe. Bisher war der Abend eine Katastrophe gewesen.
Sie wandte sich an einen Kellner, nahm ein Glas Champagner und trank es verdrossen, während sie den Tänzern zuschaute. Sie fühlte sich zu einem düsteren, niederen Leben verurteilt, während andere sich im Licht liebten und tanzten. Nun, war sie nicht das, was sie sein wollte?
In diesem Moment neigte ein Kellner, der sich durch die Menge drängte, achtlos sein Tablett, und Champagner spritzte wie eine Fontäne auf Lysistratas Kleid. Für einen Moment starrte sie ungläubig auf den Fleck. Obwohl sie nicht stolz auf ihr Kleid war, war es das einzige, was sie noch von ihrer Mutter hatte. Nun war es ruiniert. Der nachlässige Kellner war in der Menge verschwunden.
Langsam und mechanisch zog sie sich auf einen der Heckenwege zurück, die zu dem verlassenen leuchtenden Teich führten. Als sie ihn erreichte, blickte sie auf die blassen, perfekten Wasserlilien, die auf seiner von Kerzen erleuchteten Oberfläche trieben, auf die gelben Jasmingirlanden, die sich mühelos in anmutigen Mustern drehten. Tränen begannen zu fließen: zuerst ein trockenes, gepreßtes Tröpfeln, dann ein heftiger, salziger Strom. Sie kniete und hob eine Hand. Sie schlug auf eine Lilie ein, als ob sie ein häßliches Gesicht sei, schlug immer wieder zu, bis sie zerfiel und dann Stück um
Stück ins schwarze Wasser sank. Mit bebender Brust starrte sie auf den leeren Fleck, an dem die Lilie gestanden hatte und spürte dann Bedauern. Wachsende Bitterkeit hatte dazu geführt, ein sinnloses Verlangen, zu fassen und zu zerstören, was sie beneidete.
Ihr Atem beruhigte sich langsam. Sie nahm ihren Schal ab und befeuchtete ihn, um den Fleck auf dem Rock so gut wie möglich zu beseitigen. Wahrscheinlich brauchte sie dieses Ding in dem feuchtem Klima ohnehin nicht und seine Häßlichkeit war jetzt unerträglich. Behutsam wusch sie ihr Gesicht, erhob sich, nachdem sie den Schal in den Teich getaucht hatte und blickte wieder zu der Stelle, an der die Lilie gestanden hatte. »Es tut mir leid«, wisperte sie.
Ziellos wanderte sie zu dem Heckenweg zurück, bemerkte aber nach einigen Kehren, daß es nicht der war, der zur Hauptgruppe der Gäste zurückführte. Bei dem Versuch, ihre eigenen Schritte zurückzuverfolgen, verlief sie sich. Unbemerkt war sie in ein kunstvolles Bougainvillea-Labyrinth geraten, das an den Teich angrenzte. An jeder Kehre war eine andere hohe Heckenwand. Nun ja, dachte sie resigniert, es war doch zumindest etwas, dieses Ding zu erforschen. Zweifellos würde sie auf ein Liebespaar stoßen, das ihr bereitwillig den Weg nach draußen weisen würde.
Eine Weile orientierte sie sich am Mond, doch da sie keine Navigatorin war, hatte sie wenig Glück. Die Musik führte sie tiefer in das Labyrinth. Schließlich begannen ihre Füße in ihren steifen Neu England-Schuhen zu schmerzen, und sie blieb an einer Steinbank stehen, um sie auszuziehen. Trotz der mißlichen Lage fühlte sie sich fröhlicher, als sie sie ablegte. Ihre nackten Zehen krümmend, warf sie den Kopf zurück. Sie mußte Sandalen haben, die sie im Haus anzog. Das Schuhwerk des Ostens schien wirklich gesünder zu sein, als das des Westens. Ihre Füße begannen im Takt von Straußens Kaiserwalzer zu schwingen. Pom, pom, pa pa pom...
Sie stand auf und begann sich zum Walzerrhythmus mit einer Anmut zu bewegen, die durch keinen Partner beeinträchtigt war. Das Polster in ihrem Kleid sackte zusammen, als sie barfuß herumwirbelte. Mit einem Lachen löste sie ihren Knoten und ließ ihr Haar frei fallen. Sie tanzte sorglos und trotzig tiefer und tiefer in das Labyrinth.
Sie wirbelte förmlich in ein Tänzerpaar. Harley hatte nicht gelogen, als er sagte, er tanze nicht in der Öffentlichkeit. Er tanzte heimlich. Und das mit gutem Grund - denn in seinen Armen war, so als sei sie daran gewohnt, Evelyn Chilton. Verblüfft
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