Raphael
von ihm trinken zu lassen. Vielleicht habe ich ja heute Abend Glück. „Heißt das, ich kann dein Blut nehmen?“
Von Raphael zu trinken klappt nämlich wunderbar, auch wenn wir dafür keine vernünftige Erklärung haben, geschweige denn eine Unvernünftige – es geht einfach. Warum, weiß keiner. Laut Raphael bin ich ein Sonderfall unter Vampiren und er kennt eine Menge Blutsauger auf der Welt. Keiner hat sich beim Trinken von Sterblichen jemals so stümperhaft angestellt wie ich.
Setjan, Raphaels Erschaffer, ein echt netter Vampir, aber eindeutig nicht ganz dicht, findet das faszinierend und hat mich gleich bei unserem allerersten Treffen in die Familie aufgenommen. Er sucht nach einer Lösung für mein kleines Trinkproblem, aber bis er es findet, sind Raphael und ich auf uns allein gestellt. Und das ist kein Problem. Wir kommen gut zurecht, auch wenn Raphael sich beinahe täglich darüber beschwert, dass er seit zwei Monaten als mein persönlicher Leichenbestatter arbeitet und keine Zeit mehr für eine ordentliche Jagd hat.
Acht Wochen. Solange bin ich schon ein Vampir und falle Raphael auf den Wecker. Das sagt er immer wieder, besonders gegenüber Setjan, der sich jedes Mal aufs Neue darüber amüsiert. Raphael ist eben ein Nörgler.
Ich weiß gar nicht, was er ständig hat, immerhin habe ich seinem langweiligen Leben wieder Schwung gegeben, genau was er wollte. Nur darum hat er mich schließlich in diesem stillgelegten Tunnel gewandelt, bevor wir die sieben Leichen aus der U-Bahn holten.
Das war eine riesige Sauerei und sie beherrscht noch heute die Nachrichten, denn der Mehrfachmord ist nach wie vor ungelöst. Kein Wunder, immerhin steht der Täter direkt vor mir und selbst in einer Stadt wie New York City findet man nicht jeden Tag eine leere U-Bahn, deren hinterer Waggon im Inneren vollständig mit Blut besudelt ist.
Was habe ich in jener Nacht gegen meinen Würgereiz gekämpft, aber wir lassen keine Toten zurück, nachdem wir getrunken haben. Vampirgesetz. Davon gibt es noch ein paar, aber laut Raphael soll ich erst mal vernünftig trinken lernen, vorher führt er mich auf keinen Fall in die Gesellschaft der Vampire ein.
Es ist Raphael peinlich, vermute ich. Mir würde es im umgekehrten Fall kaum anders gehen. Ich weiß von Setjan, dass Raphael einen guten Stand bei den übrigen Vampiren hat und ich möchte ihn nicht blamieren. Ein wenig bin ich ihm da schon schuldig, immerhin hätte er mich töten können, wie er es mit den anderen Menschen in der U-Bahn gemacht hat, statt mich zu wandeln, was ich zuerst gar nicht wollte.
Ich und ein Vampir werden? Nie im Leben, habe ich in der Nacht gedacht. Zudem hatte ich eine Scheißangst vor Raphael, der sich in dem U-Bahn-Tunnel aufführte wie ein eiskalter Irrer. Was er ja auch ist, genau wie ich.
Es ist schon merkwürdig, wie schnell sich das eigene Leben um 180 Grad wenden kann. Ich finde es gut, wie es jetzt ist, abgesehen vom Blut trinken, was mich wieder auf mein aktuelles Problem zurückbringt, denn mein Hunger wächst und auf dem mit Blut getränkten Teppich liegt noch immer eine Leiche.
„Raphael?“
Er seufzt resigniert, als ich ihm einen bittenden Blick zuwerfe, doch schlussendlich gibt er nach und nickt. „Ja, du kannst mein Blut haben, aber vorher schaffen wir den Toten weg.“
„Wohin?“
Auf meine ratlose Frage hin lächelt er und mir läuft es kalt den Rücken herunter. Raphael kann alles sein, der beste Freund oder das schlimmste Arschloch. Gerade ist er definitiv Letzteres, sein Blick verrät ihn.
„Habe ich ihn umgelegt oder du? Lass dir was einfallen, Caine.“
Diesmal bin ich derjenige, der stöhnt.
1
Den alten Mann zu entsorgen hat länger gedauert, als ich dachte, und ich will gar nicht wissen, wie schnell die erste Ratte in dem schmutzigen, engen Abwassertunnel auf die festgeklemmte Leiche aufmerksam wird und ihre Familie zum Abendessen ruft.
Biologische Abfallentsorgung mal anders, und es gibt Dinge, die muss ich einfach nicht genauer wissen. Das gehört dazu. Es reicht mir schon, dass wir vor etwa drei Wochen zufällig auf einen besetzten Tunnel stießen. Was für ein Gestank. Und der Anblick der toten Frau ... Dass es eine Frau war, ist mir anfangs nicht aufgefallen, doch als ich es dann bemerkte, kam mir mein vorher mühsam erbeutetes Essen umgehend wieder hoch, was Raphael genauso wenig lustig fand wie ich.
Jedenfalls ist es fast Mitternacht, als wir endlich dort ankommen, wo wir uns heute
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