Raphael
in der Menschenmasse verschwunden, um nach Essbarem zu suchen. Daher drehe ich mich um und sehe zu Setjan hoch, der über mir am Geländer einer Empore lehnt, die die gesamte Tanzfläche umrundet.
„Ich weiß nicht, warum er mein Leben gerettet hat“, führe ich sein Zitat aus dem Film 'Blade Runner' weiter und grinse Setjan an. „Vielleicht hat er in seinen letzten Augenblicken das Leben mehr geliebt, als je zuvor. Nicht nur sein Leben, das eines jeden. Mein Leben ... Alles, was ich tun konnte war dasitzen und zusehen, wie er starb.“
„Verflixt, ich bin ertappt“, grummelt Setjan gespielt und winkt mich zu sich hinauf. „Aber Rudger Hauer war umwerfend in der Rolle“, erklärt er, als ich kurz darauf neben ihm stehe.
„Stimmt“, nicke ich und sehe mich nach Raphael um.
Es ist reines Wunschdenken, so schnell kann er nicht fertig sein. Vor allem nicht, wenn ich daran denke, wie launisch und wählerisch er heute ist. Aber er fehlt mir, sobald er nicht an meiner Seite ist, und wenn er da ist, geht er mir auf die Nerven mit seiner Nörgelei. Wir sind für Außenstehende mit Sicherheit ein komisches Paar und mehr als einmal hielt man uns schon für ein echtes Pärchen.
Was hat Setjan sich ausgeschüttet vor Lachen, als ich ihm deswegen meine Empörung mitteilte, denn Raphael findet das äußerst lustig und flirtet ohnehin mit allem, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Und ich? Tja, ich kann an solchen Abenden, in denen er in der passenden Stimmung für eine versaute Show ist, jedes Mal zusehen, wie ich meine tote Haut rette, denn ich habe weder das Bedürfnis von ihm geküsst zu werden, noch beim Tanzen mit einem anderen Kerl auf Tuchfühlung zu gehen, was er ständig tut.
Versteht mich nicht verkehrt, ich sehe Männern und Frauen gerne zu und habe mit Sicherheit nichts gegen Schwule, aber deswegen lasse ich mich noch lange nicht von welchen angraben. Und dass die Vampire es mit der Geschlechtertrennung nicht ganz so genau nehmen - was erwartet man auch bei Jahrhunderten an Lebensdauer - hat mir schon mehr als einen sehr peinlichen Augenblick beschert.
Am Anfang fand ich es nicht wirklich schlimm, nervig zwar, aber ertragbar. Doch seit ich vor drei Wochen in der Herrentoilette einer Bar drüben in Manhattan von einem Riesenkerl gegen die Wand gedrängt und beinahe gegen meinen Willen vernascht worden wäre, habe ich meine Meinung diesbezüglich geändert. Männer können echte Schweine sein, Frauen allerdings auch, wenn sie die Witterung aufgenommen haben, und was kann ich bitteschön für mein gutes Aussehen?
Ja, ich weiß, dass klingt so arrogant und eingebildet, da muss man den Kopf darüber schütteln, aber wie soll ich sonst erklären, dass mir ständig irgendwer ans Leder will? Vampirische Ausstrahlung? Na danke, ich verzichte gerne. Und nur weil Typen wie der in der Bar auf blaue Augen und blonde Haare stehen, heißt das noch lange nicht, dass ich im Gegenzug auch auf sie stehe.
In dem Punkt ist Raphael sogar meiner Meinung. Er hat den Mann in der Bar für seinen Übergriff auf mich getötet und ist seither vorsichtiger geworden, wenn wir ausgehen. Zumindest kommt es mir so vor, denn er sorgt immer dafür, dass in den Clubs Setjan oder einer seiner unzähligen stummen Freunde auf uns wartet, um mich zu bewachen, bis er mit der Jagd fertig ist.
Setjan ist mir dabei der Liebste, denn mit ihm kann man sich wenigstens die Zeit vertreiben. All die anderen Vampire, von denen ich nicht einmal ihre Namen kenne, stehen immer nur schweigend an meiner Seite und sehen jeden finster an, der näher als auf Armlänge heranrückt. Effektiv, gar keine Frage, aber gleichzeitig todlangweilig für mich.
„Er ist im Gang bei den Toiletten und hat jemanden gefunden“, erlöst mich Setjan von der erfolglosen Suche nach Raphael. „In ein paar Minuten gibt es Abendessen.“
Ich sehe ihn dankbar lächelnd an, was er nicht sieht, denn Setjan hat seine Augen geschlossen und grinst auf einmal sehr schmutzig. Wie Vampire das machen, ist mir nicht klar, aber ich weiß, dass er Raphael gerade zusieht. Als ich Setjan das erste Mal dabei erwischte, dachte ich an Telepathie, aber ob das wirklich passt? Keine Ahnung.
Die beiden sagen jedenfalls nichts dazu. Irgendeine Vampirsache, die kleine Jungs wie ich noch nicht wissen müssen. Sobald sie mir so kommen, könnte ich die zwei jedes Mal dafür erwürgen, aber da ich dann endgültig dem Tode geweiht wäre, verkneife ich mir einen Angriff lieber. Dass ich in einem Kampf
Weitere Kostenlose Bücher