Rappen lernen
war genau umgekehrt: Sie hatten gerade den neoliberalen Winner-take-all-Kapitalismus der Reagan/Thatcher-Jahre als das soziale Übel identifiziert, unter dem nun alle zu leiden hatten. Der Raubtier-Reaganismus war ja der Grund dafür, dass harte Arbeit sich nicht mehr lohnte und nur die Reichen noch reicher machte; der globalisierte Kapitalismus der großen Konzerne hatte Jobs wegrationalisiert oder nach Übersee verlagert; und der damit einhergehende Konsumismus mit seinen schnelllebigen Produkten und trivialen Luxusgütern nahm dem Dasein jegliche Substanz, jeden Wert, machte uns alle zu lebenden Toten. Der Rassismus mochte dafür sorgen, dass es die schwarzen Arbeiter als Erste erwischte, aber irgendwann würden diese Trends auch uns erfassen – wenn es uns nicht doch noch gelang, Teil der Kaste der Superreichen zu werden.
Die weißen Mittelklasse-Teenager waren in den achtziger und neunziger Jahren ökonomisch vor allem als Zielgruppe für bestimmte Konsumartikel relevant. Man erfand und pflegte Marken, kreierte irgendwelche Logos und verpasste allem einen coolen Anstrich. Irgendwann 46 kam dann der No Logo -Moment, und die Mittelklasse rebellierte gegen die immer weiter wachsenden Konzerne, gegen die Deregulierung und die Umverteilung von unten nach oben. Die eigentliche politische Leistung der Postpunk-Bewegung bestand allerdings weniger in der Musik selbst, als vielmehr in der Tatsache, dass es gelungen war, ein alternatives System der Musikproduktion und -distribution aufzubauen. Jede Stadt und jede Region brachte ihr eigenes, kleines, randständiges Platten-Label hervor: SST , Dischord, Touch and Go, Taang!, Triple X, Homestead, Sub Pop, Matador etc. Wer auf Rock stand und etwas auf sich hielt, hörte damals Bands wie die Minutemen, Big Black, die Replacements, Hüsker Dü, die Butthole Surfers, Sonic Youth, Dinosaur Jr. und Minor Threat, später dann Fugazi, Mudhoney, Pavement oder Bikini Kill. Bis 1991 konnte man keine ihrer Platten über die offiziellen Kanäle des Kapitalismus kaufen, den damals die allseits verhassten »Major Labels« verkörperten. (Sonic Youth brach dann das Tabu, weil man auf die Schmeicheleien eines neuen, als Indie-Label verkleideten Konzerns hereinfiel, Geffen Records. Dies hatte die noch weitaus schwerer wiegende Konsequenz, dass auch die deutlich jüngere Band Nirvana bei Geffen unterschrieb; es folgten ihr spektakulärer Durchbruch, die von MTV angeführte kommerzielle Ausbeutung, der schreckliche Selbstmord von Kurt Cobain, der diese Widersprüche nicht mehr aushielt, und die Desillusionierung aller, die diese kapitalistische Kreuzigung mit ansehen mussten.) Hätte es damals nur die Major Labels gegeben, hätten die Rockfans mit U2, Bruce Springsteen und Konsorten – verdienstvolle Künstler, ohne Frage, aber doch irgendwo überschätzter, kommerzieller Kitsch für Babyboomer –, 47 das heißt mit zweitklassigen Talenten und Musikern auskommen müssen, die Bekanntes massentauglich neu kombinierten.
Auf ihrem Höhepunkt traf die Rebellion der weißen Mittelklasse gegen die von den Konzernen gesteuerte Globalisierung und gegen den Konsumismus auf einen Hip-Hop, der dem Kapitalismus eine verdächtige Sympathie entgegenbrachte, und zwar mit einer Entschiedenheit, die keine andere Richtung der schwarzen Musik (in der es ja auch schon zuvor um die Notwendigkeit wirtschaftlicher Emanzipation gegangen war) jemals vertreten hatte. Das Ganze war unfassbar und rätselhaft. Es war idiotisch, aber man hatte das Gefühl, von den Rappern verraten worden zu sein! Besonders irritierend war die permanente Erwähnung von Luxusartikeln, die von weißen Firmen vertrieben wurden, Logos und Marken, die wiederum auf kuriose Weise mit einem neuartigen, undurchschaubaren Sexismus kombiniert wurde (die Texte vermittelten den Eindruck, man könne auch Frauen kaufen) – »Life ain’t nothin’ but bitches and money«. Bei N.W.A. war die Geschichte mit dem Geld noch skandalös, in » C.R.E.A.M « vom Wu-Tang Clan war sie finster und ironisch (»Cash Rules Everything Around Me«/[ C.R.E.A.M. ]/»Get the money, dollar dollar bill, y’all«), irgendwann wurde es tragikomisch, und am Ende war es dann nur noch komisch. Seinen narrativen Höhepunkt erreicht der Geld-Fetischismus in den komplexen Erzählungen von Notorious B.I.G. (»Gimme the Loot« [1994], »I Love the Dough« [1996]), in einigen Songs, die Jay-Z mit Jermaine Dupri aufnahm, etwa in »Money Ain’t A Thang« (1998), bekam er eine ins
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