Rasputins Tochter
halbnackte Gräfin und der Balalaika-Spieler, sogar die Geheimagenten, die Nachricht verbreiten würden, das die Kaiserin Rasputin schon wieder in den Palast gerufen hatte - und zu einer so unchristlichen Stunde. Bis zur Teezeit morgen Nachmittag würde der ganze Hof wahrscheinlich darüber klatschen, dass für die Zarin ein Anruf spätnachts getätigt worden war, ein Anruf, der den betrunkenen Rasputin bat, in ihre Privatgemächer zu eilen und ihre verzweifelten Bedürfnisse zu beschwichtigen. Ja, die Zungen würden wackeln, denn wir Russen waren die Bösartigsten des Klatsches, und dann würde es sicher garstige Gerüchte von dem wilden Bauern geben, der im Bett mit der Kaiserin Aleksandra Fjodorowna - dieser deutschen Hure - und sogar mit ihrer ergebenen Freundin, dieser Schlampe Anna Wyrubowa, vielleicht sogar alle drei miteinander, herumtollte. Es könnte sogar Klatsch über einen Chlyst -Akt geben, ein „Freudenfest“. Immerhin kam nicht der Name Rasputin von dem Wort rasputa - ein verdorbener, verworfener Taugenichts? Die Grafen und Herzöge und Fürsten hielten vielleicht sogar eine Notfallversammlung im Jacht-Club ab, wo sie rauchten und tranken und murrten, dass etwas wegen dieses dreckigen Mönches getan werden musste, der das Prestige des Zaren ruinierte, der Bauer, der nichts als ein Schmutzfleck auf dem ganzen Haus Romanow war. War es nach allem nicht mehr als wahrscheinlich, dass er für die Deutschen spionierte, womöglich sogar den Zaren selbst unter Drogen setzte? Gospodi - gütiger Himmel - um der Heiligen Mutter Russland willen, sollte er nicht eliminiert werden?
Ja, dachte ich mit einem Schauder, Papas Visionen von seinem eigenen Ende waren nicht so schwer zu glauben.
Je näher wir Zarskoje Selo kamen, umso mehr konnte ich sehen, dass die Schärfe der kalten Nachtluft Papa stärkte wie ein kurzes Bad im Finnischen Golf. Tatsächlich, als die Winterlandschaft Platz für Villen und kleine Paläste in Parks machte, war ich erleichtert zu sehen, dass mein Vater in völliger Beherrschung von sich selbst erschien.
Innerhalb von Minuten des Betretens des königlichen Dorfes kamen wir zu dem langen Eisenzaun, der die weiten Palastgründe umgab. Als ich über eine Schneefläche und in die tiefe Nacht starrte, erhaschte ich einen fernen Blick der buttergelben Wände und weißen Säulen des Heims, das Katharina die Große vor mehr als einem Jahrhundert für ihren Lieblingssohn Aleksander I. erbauen ließ. Als wir den Eingang selbst erreichten, schwangen die Wachen eilig die Tore auf, ohne eine einzige Frage, und die Limousine folgte einem kleinen Hügel hinauf. Ich konnte mein Erstaunen nicht verbergen, weil seit Jahren war meinem Vater nicht erlaubt worden, sich dem Heim des Zaren direkt zu nähern. Wegen eines Aufruhrs unter anderem war der ganze Romanow-Clan gezwungen gewesen, den berüchtigten Rasputin in das kaiserliche Heim über ein vorgetäuschtes Treffen mit einem Dienstmädchen im rechten Flügel des Palastes hineinzuschmuggeln. Tatsächlich war die Empörung gegen ihn jüngst so lautstark geworden, dass der einzige Ort, wo er Ihre kaiserlichen Hoheiten treffen konnte, die Straße hinunter in Madame Wyrubowas winzigem Haus war. All das, weil der Stab des Kammerherrn jeden Besucher im Palast im Kammerfurier - das Hofprotokoll - auflistete, das für viele Beamte verfügbar war. Überflüssig zu sagen, dass wann immer der Name Rasputin auftauchte, eine weitere Protestwelle über seine dunklen Einfluss auf den Thron ausgelöst wurde.
Heute Nacht zählte offensichtlich nichts davon, denn die Delaunay-Belleville-Limousine fuhr nicht zum Haupteingang an der Rotunde, noch zum rechten Flügel, sondern direkt zum linken Flügel, der die Privatgemächer des Zaren und der Zarin enthielt. Und dort, gekleidet in einen gewaltigen Pelzmantel und auf den Stufen sitzend, war die mollige Madame Wyrubowa selbst
„Kommen Sie sofort hier entlang, Vater Grigori“, flehte sie ängstlich, wobei sie sich schwer auf einen Stock lehnte.
Die Vertraute der Kaiserin führte meinen Vater in den Palast und ich, die ignoriert wurde, eilte hinter ihnen her. Madame Wyrubowa hinkte fürchterlich, denn mehrere Jahre früher wäre sie bei einem Zugsunglück beinahe getötet worden. Als sie unter einem Dampfheizer und Stahlträger gezogen worden war, dachte niemand, dass sie leben würde, geschweige denn gehen. Als sie ins Krankenhaus gebracht wurde, erhielt sie die Letzte Ölung, als der Kaiser und die Kaiserin, die schnell
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