Raststätte Mile 81
schweigen von den meisten unserer Schüler: Sie mieden das Al’s wie die Pest und bevorzugten das Dairy Queen gegenüber der Schule oder das Hi-Hat draußen an der 196, wo früher das Lisbon Drive-in gestanden hatte.
»Das wäre großartig, Mr. Epping. Danke!«
»Jake, okay?«
»Jake, klar doch.«
Also nahm ich Harry mit zu Al’s, wo ich als einziger Lehrer Stammgast war, und obwohl Al in diesem Sommer doch tatsächlich eine Kellnerin beschäftigte, bediente er uns selbst. Wie üblich hatte er eine Zigarette (in Esslokalen illegal, aber das hatte Al noch nie gekümmert) im linken Mundwinkel und kniff das Auge darüber wegen des Rauchs halb zu. Als er den zusammengelegten Talar sah und erkannte, aus welchem Anlass wir hier waren, bestand er darauf, uns einzuladen (für ihn kein großes Verlustgeschäft; die Mahlzeiten im Al’s waren immer erstaunlich billig, was zu Gerüchten über das Schicksal bestimmter streunender Tiere in der Nachbarschaft geführt hatte). Er machte auch ein Foto von uns, das er später an seine Wand mit Lokalprominenz pinnte. Zur sonstigen »Prominenz« gehörten der verstorbene Albert Dunton, Gründer von Dunton Jewelry; Earl Higgins, ein ehemaliger LHS -Direktor; John Crafts, Gründer von John Crafts Auto Sales, und natürlich Pater Bandy von St. Cyril’s. (Der Pater hing neben Papst Johannes XXIII. , der kein Einheimischer war, aber von Al Templeton verehrt wurde, der sich rühmte, ein »guter Kattelick« zu sein.) Das Foto, das Al an jenem Tag machte, zeigt Harry Dunning mit breitem Grinsen im Gesicht. Ich stand neben ihm, und wir hielten beide sein Diplom hoch. Seine Krawatte saß ein bisschen schief. Daran erinnere ich mich, weil es mich an den kleinen Schnörkel erinnerte, den er unter jedes g setzte. Ich erinnere mich an alles. Ich erinnere mich sehr gut.
2
Zwei Jahre später, am letzten Tag des Schuljahres, saß ich in genau demselben Lehrerzimmer und arbeitete einen Stapel Abschlussaufsätze ab, die mein Leistungskurs Amerikanische Lyrik geschrieben hatte. Die Kids selbst waren bereits fort, entlassen in einen weiteren Sommer, und bald würde auch ich gehen. Aber vorläufig war ich hier ganz zufrieden, weil ich die ungewohnte Stille genoss. Ich dachte sogar daran, den Schrank mit den Snacks auszuräumen, bevor ich ging. Irgendjemand sollte das tun, fand ich.
Früher an diesem Tag war Harry Dunning nach der ersten Stunde (in der es, wie am letzten Schultag in fast allen ersten Stunden und Freistunden, besonders laut zugegangen war) zu mir gehinkt gekommen und hatte mir die Hand hingestreckt.
»Ich möchte Ihnen nur für alles danken«, sagte er.
Ich grinste. »Soweit ich mich erinnere, haben Sie das bereits getan.«
»Ja schon, aber heute ist mein letzter Tag. Ich gehe in den Ruhestand. Darum wollte ich nicht vergessen, Ihnen nochmals zu danken.«
Als ich ihm die Hand schüttelte, kam ein Junge vorbei – höchstens ein Zehntklässler, seinen frischen Pickeln und dem ernsthaft-komischen Gestrüpp an seinem Kinn, das ein Spitzbart sein wollte, nach zu urteilen – und murmelte spöttisch: »Hoptoad Harry, hoppin’ down the av-a- new .«
Ich wollte ihn mir schnappen und dafür sorgen, dass er sich entschuldigte, aber Harry hielt mich zurück. Sein Lächeln war ungezwungen, nicht gekränkt. »Schon gut, lassen Sie nur. Das bin ich gewohnt. Jungs sind eben so.«
»Richtig«, sagte ich. »Und es ist unser Job, ihnen etwas beizubringen.«
»Ich weiß, und Sie sind gut darin. Aber es ist nicht mein Job, jedermanns Dingsbums, wieheißtdasnochmal … lernfähiger Augenblick zu sein. Vor allem heute nicht. Ich hoffe, Sie passen gut auf sich auf, Mr. Epping.« Er mochte dem Alter nach mein Vater sein, aber zu Jake würde er sich wohl nie durchringen.
»Gleichfalls, Harry.«
»Dieses A plus werde ich nie vergessen. Das hab ich auch eingerahmt. Hängt jetzt gleich neben meinem Diplom.«
»Das freut mich.«
Und das war es. Alles war gut. Sein Aufsatz war naive Kunst gewesen – aber genauso kraftvoll und authentisch wie jedes Gemälde von Grandma Moses. Jedenfalls sehr viel besser als das Zeug, das ich jetzt gerade las. In Leistungskursaufsätzen war die Rechtschreibung größtenteils richtig, und der Ausdruck war klar (auch wenn meine vorsichtigen Geh-bloß-kein-Risiko-ein-Universitätsanwärter auf irritierende Weise dazu neigten, ins Passiv zu verfallen), aber der Stil war blass. Langweilig. Meine Schüler im Leistungskurs waren im vorletzten Jahr – die im letzten Jahr
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