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Raststätte Mile 81

Raststätte Mile 81

Titel: Raststätte Mile 81 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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neues Ich, Jake?« Und er begann zu husten – mit dumpf rasselnden Lauten, die tief aus seinem Inneren kamen.
    Ich öffnete den Mund. Brachte kein Wort heraus. Irgendein feiger, angewiderter Teil meines Verstandes dachte noch einmal an Flucht, aber selbst wenn dieser Teil das Kommando gehabt hätte, wäre ich nicht dazu imstande gewesen. Ich stand wie angewurzelt da.
    Al bekam den Husten unter Kontrolle und zog ein Taschentuch aus der Gesäßtasche. Damit wischte er sich erst den Mund, dann die Handfläche ab. Bevor er es wieder einsteckte, sah ich, dass es Blutflecken hatte.
    »Komm rein«, sagte er. »Ich muss über vieles reden und glaube, dass du der Einzige bist, der mir vielleicht zuhört. Wirst du mir zuhören?«
    »Al«, sagte ich. Meine Stimme war so leise und kraftlos, dass ich sie selbst kaum hören konnte. »Was ist mit dir passiert?«
    »Wirst du zuhören?«
    »Natürlich.«
    »Du wirst Fragen haben, und ich werde dir so viele beantworten, wie ich kann, aber versuch sie auf ein Minimum zu beschränken. Ich habe nicht mehr viel Stimme. Teufel, ich habe nicht mehr viel Kraft. Komm rein.«
    Ich kam rein. Der Diner war dunkel und kühl und leer. Die Theke glänzte fleckenlos sauber; die verchromten Hockerbeine blitzten; die Kaffeemaschine war auf Hochglanz poliert; das Schild WENN IHNEN UNSERE STADT NICHT GEFÄLLT, SEHEN SIE SICH NACH EINEM FAHRPLAN UM lehnte wie immer an der Sweda-Registrierkasse. Das Einzige, was hier fehlte, waren Gäste.
    Und natürlich auch der kochende Besitzer. Al Templeton war durch ein gealtertes, dahinsiechendes Gespenst ersetzt worden. Als er die Tür von innen verriegelte, sodass wir eingesperrt waren, klang das Geräusch dabei sehr laut.
    4
    »Lungenkrebs«, sagte er nüchtern, nachdem er zu einer Sitznische im rückwärtigen Teil des Lokals vorausgegangen war. Er tippte sich auf die Hemdtasche, und ich sah, dass sie leer war. Das nie fehlende Päckchen filterloser Camels war verschwunden. »Keine große Überraschung. Ich hab mit elf angefangen und bis zu dem Tag gequalmt, an dem ich die Diagnose bekam. Über fünfzig verdammte Jahre. Drei Päckchen am Tag bis zu der großen Preiserhöhung im Jahr 2007. Ab da hab ich ein Opfer gebracht und mich auf zwei am Tag beschränkt.« Er lachte keuchend.
    Ich überlegte, ob ich ihn darauf hinweisen sollte, dass er falsch gerechnet hatte, denn ich kannte sein wahres Alter. Am Ende des Winters war ich eines Tages reingekommen und hatte ihn gefragt, warum er mit einem Partyhütchen für Kindergeburtstage am Grill stehe, worauf er geantwortet hatte: Weil heute mein Siebenundfünfzigster ist, Kumpel. Womit ich ein offizieller Heinz bin. Aber er hatte mich gebeten, nur absolut unerlässliche Fragen zu stellen, und dazu gehörte sicher auch, dass ich ihn nicht unterbrach, um ihn zu korrigieren.
    »Wäre ich an deiner Stelle – und ich wollte, das wäre ich, obwohl ich dir das nie wünschen würde, nicht in meinem jetzigen Zustand –, würde ich denken: Hier ist irgendwas faul, kein Mensch kriegt über Nacht Lungenkrebs im fortgeschrittenen Stadium. Stimmt das ungefähr?«
    Ich nickte. Das stimmte genau.
    »Die Antwort ist ganz einfach. Es ist nicht über Nacht passiert. Ich habe damals im Mai – vor ungefähr sieben Monaten – angefangen, mir die Lunge aus dem Leib zu husten.«
    Das war mir neu; falls er da schon gehustet hatte, hatte er es nicht in meiner Gegenwart getan. Und er hatte wieder mal falsch gerechnet. »Al, hallo? Wir haben Juni. Vor sieben Monaten war es Dezember.«
    Er winkte ab – mit einer so abgemagerten Hand, dass der Marine-Corps-Ring nur noch lose am Ringfinger hing, statt ihn zu umschließen –, als wollte er sagen: Lass das jetzt mal beiseite, vergiss es einfach.
    »Zuerst dachte ich, ich hätte eine Erkältung oder vielleicht die Asiatische Grippe – die grassierte damals. Aber ich hatte kein Fieber, und der Husten ist nicht weggegangen, sondern schlimmer geworden. Dann habe ich angefangen abzunehmen. Nun, ich bin nicht blöd, Kumpel, und hab immer gewusst, dass ich mal Krebs kriegen könnte … obwohl meine Eltern wie gottverdammte Schlote gequalmt haben und über achtzig geworden sind. Ich glaube, wir finden immer Ausreden, um unsere schlechten Angewohnheiten beibehalten zu können, nicht wahr?«
    Er begann wieder zu husten und zog das Taschentuch heraus. Als das Keuchen aufhörte, sagte er: »Ich darf nicht abschweifen, aber das gewöhnt man sich schwer ab, wenn man’s sein Leben lang getan hat. Sogar

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