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Raststätte Mile 81

Raststätte Mile 81

Titel: Raststätte Mile 81 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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die Schulter. Ich wollte, das hätte er nicht getan. Es war, als tippte einem S. T. Coleridges alter Seefahrer, der einen von dreien anhielt, auf die Schulter.
    »Ich möchte, dass du dir etwas ansiehst, bevor wir uns wieder setzen. So geht’s schneller. Nur ist sehen nicht das richtige Wort. Erleben trifft es besser, denke ich. Trink aus, Kumpel.«
    Ich trank das Glas halb aus. Das Wasser war kühl und gut, aber ich ließ ihn nicht aus den Augen, während ich trank. Der Feigling in mir rechnete damit, überfallen zu werden wie das erste ahnungslose Opfer in einem dieser Wahnsinniger-auf-freiem-Fuß-Filme, die immer Zahlen im Titel zu haben scheinen. Al stand jedoch nur da, mit einer Hand auf die Theke gestützt. Die Hand mit den groben Knöcheln war runzlig. Sie sah nicht wie die Hand eines Mannes Ende fünfzig aus, selbst wenn er Krebs hatte, und …
    »Kommt das von der Bestrahlung?«, fragte ich plötzlich.
    »Was soll von ihr kommen?«
    »Du bist sonnengebräunt. Von den schwarzen Flecken auf deinem Handrücken ganz zu schweigen. Die bekommt man von einer Bestrahlung oder von zu viel Sonne.«
    »Tja, da ich keine Strahlentherapie gemacht habe, bleibt wohl nur die Sonne. Von der habe ich in den letzten vier Jahren ziemlich viel abbekommen.«
    Meines Wissens hatte Al die letzten vier Jahre damit verbracht, bei Neonlicht Hamburger zu braten und Milchshakes zu mixen, aber das sagte ich nicht. Ich trank nur mein Wasser aus. Als ich das Glas auf die Resopalplatte zurückstellte, merkte ich, dass meine Hand leicht zitterte.
    »Okay, was soll ich mir also ansehen? Oder erleben?«
    »Komm mit.«
    Er führte mich durch den langen, schmalen Bereich hinter der Theke, vorbei an dem Doppelgrill, den Fritteusen, dem Spülbecken, dem Kühlschrank von Frost-King und der summenden hüfthohen Tiefkühltruhe. Bei dem stummen Geschirrspüler blieb er stehen und zeigte auf die Tür in der Rückwand des Küchenbereichs. Sie war niedrig; Al würde den Kopf einziehen müssen, wenn er hindurchging, und er war nur etwa einen Meter siebzig groß. Ich war einen Meter fünfundneunzig groß – manche der Schüler nannten mich Helikopter-Epping.
    »Dort«, sagte er. »Durch diese Tür.«
    »Führt die nicht in den Vorratsraum?« Eine rein rhetorische Frage; ich hatte ihn im Lauf der Jahre mit genügend Konserven, Kartoffelsäcken und Flaschen herauskommen sehen, um verdammt genau zu wissen, was dahinter lag.
    Al schien mich nicht gehört zu haben. »Hast du gewusst, dass ich diesen Laden ursprünglich in Auburn aufgemacht hatte?«
    »Nein.«
    Er nickte, und das schien einen weiteren Hustenanfall auszulösen, den er mit dem zunehmend gruseligeren Taschentuch erstickte. Als dieser letzte Anfall abklang, warf er das Taschentuch in den Mülleimer in der Nähe, dann schnappte er sich eine Handvoll Servietten aus dem Spender auf der Theke.
    »Dies ist ein Aluminaire, in den Dreißigerjahren gebaut und ein Art-déco-Prachtstück. Ich wollte schon immer einen, seit mein Dad mich als kleinen Jungen ins Chat ’N Chew in Bloomington mitgenommen hat. Hab ihn voll eingerichtet gekauft und in der Pine Street aufgestellt. Dort war ich fast ein Jahr lang, bis ich gemerkt habe, dass ich in einem weiteren Jahr bankrott sein würde, wenn ich dort bliebe. In der näheren Umgebung gab’s zu viele Schnellimbisse, manche gut, manche nicht so gut, alle mit Stammgästen. Ich war wie ein Junganwalt, der seine Kanzlei in einer Kleinstadt aufmacht, in der es schon ein Dutzend gut etablierter Winkeladvokaten gibt. Außerdem hat Al’s Famous Fatburger damals zweieinhalb Dollar gekostet. Selbst in den Neunzigerjahren konnte ich nicht unter zweieinhalb gehen.«
    »Wie zum Teufel kannst du ihn dann jetzt für weniger als die Hälfte verkaufen? Außer er ist wirklich aus Katze.«
    Er schnaubte, ein Geräusch, das tief in seiner Brust ein schleimiges Echo seiner selbst erzeugte. »Kumpel, was ich verkaufe, ist hundertprozentig unverfälschtes amerikanisches Rindfleisch, das beste der Welt. Weiß ich, was die Leute reden? Und ob. Ich schere mich nicht darum. Was sollte ich sonst tun? Die Leute vom Reden abhalten? Da könnte man ebenso gut versuchen, den Wind am Wehen zu hindern.«
    Ich fuhr mir mit dem Zeigefinger über die Kehle. Al lächelte.
    »Stimmt, ich schweife wieder mal ab, ich weiß, aber diesmal gehört es zur Story. Ich hätte mich weiter in der Pine Street abrackern können, aber Yvonne Templeton hat keine Dummköpfe großgezogen. ›Lieber weglaufen und dafür

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