Rattentanz
wohlerzogen hinten angestellt. Vierhundert Tage.
Ihre Mails hatten die Bausteine im Gymnasium abgeliefert und die drei Teilchen hatten sich wie befohlen eingenistet, vermehrt und ihre munteren Nachkommen an alles angehängt, was das Haus verließ. Frau Senkwitz verschickte bis zum Prüfungstag insgesamt 187 Mails an 59 verschiedene Adressaten und sie beschrieb sechzehn Daten-CDs für sich, den Direktor und drei der angestellten Lehrkörper. Sie erledigte wie gewohnt vom Sekretariat aus nicht nur die Bankgeschäfte des Gymnasiums, sondern, wenn man schon mal dabei war, auch gleich ihre eigenen bei der Konkurrenzbank. Ganz gerecht verschenkte sie somit an beide Unternehmen einen kleinen Untermieter, der allein am Folgetag 417 neue Abnehmer fand. Hausmeister Seidel hatte zwar nur vier Mails im selben Zeitraum verschickt, hinterließ die Bausteine aber in allen möglichen zweideutigen Chaträumen und im Adultbereich eindeutiger Websites, von wo aus sie reißenden Absatz fanden.
Ihr Informatiklehrer arbeitete an einer Doktorarbeit zum Thema »Verlässlichkeit offener Computersysteme« und kommunizierte aus diesem Grund mit Fachleuten in ganz Deutschland, der Schweiz und Hongkong (wo der Virus sich bald in einem automatischen Mailverteiler wiederfand, der wöchentlich Interessierte in vierundzwanzig Ländern über den neuesten Stand der Virenabwehr informierte). Außerdem glich er regelmäßig seine Daten zwischen PC und Handy ab. In der Folge klammerte sich an jede seiner Telefonnachrichten ein kleiner Winzling und wartete anschließend geduldig in der Abgeschiedenheit der fremden Festplatte auf das Eintreffen von Komponente zwei und drei.
Hätte alles nach den Plänen von Axel und Lars funktioniert und wäre der Virus am vierzigsten Tag aktiv geworden, hätte es im Gymnasium und den insgesamt fünfundachtzig Rechnern weltweit, auf denen inzwischen alle drei Komponenten eingetroffen waren, leere Festplatten gegeben. Einen Tag darauf hätte es weltweit VirenschutzUpdates gehagelt und nach einer Woche wäre ihr Dreiteiler einer von vielen in den Annalen der Virenabwehr geworden. Aber so warteten noch dreihundertsechzig Tage. Dreihundertsechzig leise Tage.
Die wenigen User, die in den Folgemonaten den einen oder anderen Baustein auf ihrem Rechner entdeckten, konnten damit nichts anfangen und keine Gefahr erkennen. Ein sinnloses Dateifragment nur, ein Schnipsel – Abfall.
Gemessen an den Maßstäben der Natur in puncto »Erfolgreiches Virus» war den beiden ein fast göttliches Projekt geglückt. Ihr Geschöpf breitete sich aus und nistete sich in jeden nur anbietenden Wirt ein. Dieser wiederum diente anschließend als Multiplikator. Ihr Virus arrangierte sich mit den diversen Systemen und Prozessoren, als sei dies die leichteste Aufgabe der Welt. Er passte sich den Gegebenheiten an, mutierte und eroberte die Welt der Bits und Bytes. Er erregte keinerlei Aufsehen, schlich sich ein, glich bei Ankunft seine innere Uhr mit der jeweiligen Rechnerzeit ab und stellte die Bombe, sobald die beiden fehlenden Freunde eintrafen, scharf. Lars kam die Idee mit der absoluten Zeit. »Jeder PC tickt etwas anders«, so sein Argument. b»Damit der ganze Laden vor den Prüfungen wirklich zum Stehen kommt, muss der Virus die Rechnerzeit mit seiner inneren Uhr vergleichen und danach den Countdown bis zum großen Knall berechnen. Somit gehen alle Computer am Prüfungsmorgen um sieben aus, egal welche Uhrzeit die auf ihren Rechnern eingestellt haben.«
»Voll fett!«
28. November des Vorjahres
Die Virenkomponenten hatten einen fruchtbaren Mutterleib vorgefunden. Die Vernetzungen einer modernen Kommunikationsgesellschaft bildeten den ertragversprechenden Boden. Die drei Bauteile schwirrten einsam über die Datenautobahnen und bezogen jede nur erreichbare Festplatte. Welchem Zweck diese diente, war dabei völlig nebensächlich und so dauerte es nicht lange und in den meisten Computern, Handys, DVD-Rekordern und MP3-Playern auf jedem Kontinent war mindestens eines der drei Teile zu finden. Einmal angekommen, reproduzierten sie sich in jeden neu erstellten Datenträger, in jede versandte Nachricht. Und sie erwarteten das Eintreffen ihrer Geschwister, um mit diesen zu verschmelzen. Und die Wartezeiten auf einer neu erreichten Festplatte wurden für den Erstling immer kürzer. Sie waren dank ihrer Unvollkommenheit von keinem Virenscanner entdeckt worden, hatten sich in fast allen Privathaushalten eingenistet und schickten ihre Brut weiter hinaus
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